1173 - Der irre Doc
einen zweiten. Über mir begann das unruhige Flackern der Leuchtstoffröhren, das sich sehr bald beruhigte. So strahlte das kalte Licht aus den schmutzigen Röhren nach unten und ließ auf dem grauen Boden so etwas wie einen leicht verblichenen Glanz zurück.
Ich legte den Kopf schräg und sah zum Himmel. Eric Lamont hatte vom Vollmond gesprochen. Ich wollte herausfinden, ob ich schon seinen blassen Kreis erkannte, der sich auf dem Blaugrau abmalte.
Nein, er war noch nicht zu sehen. Wahrscheinlich würde er noch ein Stück wandern müssen.
Ich ging wieder nach unten. Dort nahm ich hinter dem Schreibtisch Platz. Er stand rechts von der Tür. Dazu gehörte ein alter Drehstuhl aus Holz. Auf der Sitzfläche lag ein grünes Filzkissen. Auf das hätte man auch verzichten können, denn es machte die Unterlage nicht eben weicher.
Von diesem Platz aus hatte ich die beste Übersicht. Ich konnte alles im Auge behalten. Die Treppe, die drei Türen, die zu den Leichen führten, wie ich annahm, auch die Fenster, und ich hatte eine gewisse Rückendeckung, was auch etwas wert war.
Ich zog die Schublade auf und fand tatsächlich eine noch zur Hälfte gefüllte Flasche Gin. Sie war nicht wichtig für mich. Der Gegenstand daneben interessierte mich viel mehr. Es war eine handliche Stableuchte. Ihr Griff bestand aus Kunststoff und war leicht. Ich probierte die Lampe aus.
Die Batterie war stark. Das Licht der Lampe war sehr hell. Ich schaltete sie aus, ließ sie neben dem schwarzen Telefon liegen und überlegte mein weiteres Vorgehen.
Mein Blick fiel auf ein altes Metallschild, das jemand an der Wand befestigt hatte. Auf das Schild war der Spruch aufgemalt worden, den der Besitzer Vernon Walters als Geschäftsgrundlage sah.
Ich sprach ihn leise nach. »Leichen jeden Alters liegen gut bei Vernon Walters.«
Herrlich, der Mann besaß den typisch englischen Humor. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.
Ich war zwar nicht unbedingt jemand, der nach Gesellschaft gierte, aber die Einsamkeit gefiel mir auch nicht, und das wollte ich zumindest teilweise ändern.
Mein Handy ließ ich stecken. Ich war sicher, dass dieses schwarze Telefon angeschlossen war. Klar, denn als ich den Hörer abhob, ertönte sofort das Freizeichen.
Ich rief Suko an. Im Büro würde ich ihn nicht mehr erwischen. Er hatte es besser als ich und war nach Hause gefahren. Ihn erreichte ich nicht, dafür meldete sich Shao, die natürlich auch über meinen neuen Job informiert war.
»Na, du Ärmster, wie geht es dir denn zwischen all den Leichen?«
»Bisher habe ich noch keine gesehen.«
»Wieso? Du bist doch…«
»Das schon. Ich bin nur noch nicht dazu gekommen, mir die Leichen anzusehen.«
»Aha.«
»Ist Suko denn da?«
»Ja, und soeben fertig mit dem Duschen.«
»Dann lass ihn doch mal an den Apparat.«
»Bis später mal, John. Und lass dich nicht von den Leichen ärgern.«
»Schaffen die das denn?«
»Man kann nie wissen.«
Suko löste Shao ab. »Hallo, Leichenwächter. Na, was macht der neue Job? Wie bekommt er dir?«
»Ich habe Shao schon gesagt, bisher habe ich noch keine Leiche gesehen. Ich sitze hier am Schreibtisch, telefoniere mit dir und starre ansonsten ins Leere.«
»Toller Job.«
»Du sagst es.«
»Und trotzdem willst du ihn durchziehen?«
»Das war so abgemacht.«
»Was hast du denn bisher erlebt?«
»Um dir das zu sagen, habe ich dich angerufen.«
Suko war ganz Ohr. Er unterbrach mich auch nicht, hörte gespannt zu und meinte dann: »Wenn nicht mehr läuft, kannst du einpacken.«
»Ich stehe erst am Beginn.«
»Stimmt. Aber was hat dir dieser Vernon Walters gesagt? Bei ihm werden Leichen geschändet. Man schneidet sie auf. Man zeichnet sie, und er hat das Gefühl, dass sein Geschäft boykottiert werden soll. Ich frage mich noch immer, was wir mit dem Fall zu tun haben. Einen verrückten Leichenschänder zu jagen, ist Sache der Kollegen. Außerdem hätte man Kameras installieren können, und die Sache wäre erledigt gewesen. Stattdessen schlägst du dir die Nacht um die Ohren. Möglicherweise bleibt es nicht bei der einen. Ist doch Unsinn.«
»Stimmt, aber ich habe mich nun mal entschieden. Wenn wir es richtig sehen, ist der Fall schon ungewöhnlich. Zudem hat Vernon den Verdacht, dass es kein Mensch ist, der sich an den Toten zu schaffen gemacht hat. Er hat zwar nicht gerade von einem Monster gesprochen, aber er ist davon überzeugt, es hier mit einem Wesen zu tun zu haben, dessen Existenz der normale Verstand nicht
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