1173 - Der irre Doc
Tote noch einmal Atem schöpfen, um sich dann endgültig von der Welt zu verabschieden. Die Haut spannte sich dünn über Hände und Gesicht. An einigen Stellen hatte sie gelbbraune Flecken.
Der zweite Tote war jünger. Aber er besaß eine Glatze. So wirkte der Kopf bleich und künstlich.
Auf seiner Brust sah ich eine lange, leicht bläulich schimmernde Narbe, ein Andenken an eine schwere Operation. Wahrscheinlich am Herzen.
Ich drehte mich um und wandte mich den beiden Frauen zu. Vom Alter her klafften Lücken zwischen ihnen. Eine Frau war uralt. Sie musste unter einer starken Krankheit gelitten haben und hatte wahrscheinlich die Hälfte ihres Gewichts verloren. So war sie in den letzten Tagen ihres Lebens zusammengefallen und glich schon mehr einer Mumie. Bei ihr waren die Augen und der Mund geschlossen. Das Tuch auf ihrem Körper war verrutscht. Ich zog es so hoch, damit es den größten Teil der Gestalt bedeckte.
Danach wandte ich mich der vierten Leiche zu.
Schön, jung, begehrenswert. So hätte man die Frau sicherlich im normalen Leben beschrieben. Auch jetzt, als Tote, hatte sie davon nicht viel verloren.
Dunkles Haar wallte um ihren Kopf. Der Körper besaß fast die Idealmaße. Das Gesicht wirkte sehr eben mit der schmalen Nase, den dunklen Brauen und dem kleinen Mund. Sie kam mir nicht wie eine Tote vor, sondern mehr wie eine Puppe, die man hierher geschafft und dann einfach vergessen hatte. Woran die junge Frau gestorben war, sah ich nicht, denn ihr Körper wurde von keiner Wunde verunstaltet.
Vielleicht hatte sie einen Herzschlag bekommen oder hatte unter einer anderen Krankheit gelitten, die nicht nach außen gedrungen war. Möglich war alles. Es konnte auch sein, dass sie schon präpariert worden war, da wollte ich mich nicht festlegen.
Dann sah ich etwas.
An der linken Seite, unter ihrem Kopf und auch durch das Haar war etwas nach außen gesickert.
Eine breiige und leicht ölige Flüssigkeit. Es war kein Blut. Vielmehr eine gelbliche Wunde. Etwas aus dem Gehirn, das seinen Weg durch die Wunde nach außen gefunden hatte. Da ich recht nah neben ihr stand, fiel mir auch der Geruch auf, den selbst die Chemie nicht übertünchen konnte.
Angewidert trat ich zurück. Wenn sie beerdigt würde, dann würde sie nicht mehr so aussehen, das war mir auch klar.
Ich verdrängte, dass die Tür auch weiterhin abgeschlossen war und ging auf die gegenüberliegende Wand der Leichenkammer zu. Dort war der Arbeitsplatz der Leichenwäscher. Wannen, Bottiche aus Metall. Lange Tische, auf die man die Leichen legte und trocknete. Auch hier gab es entsprechende Instrumente, mit denen die Fachleute die Leichen behandelten. Ich sah Sägen und Scheren an Haken hängen. Auch scharfe, kleine Messer und Pinzetten.
In der Nähe standen Schränke an den Wänden. Sie reichten mir bis zur Hüfte. Ich öffnete die Türen nicht, weil mich der Inhalt nicht interessierte. Zwei Gummischläuche mit Spritzdüsen waren an Wasserstellen angeschlossen. Sie lagen zusammengeringelt auf dem Boden. Daneben stand ein großer Spind, dessen zwei Türen geschlossen waren.
Von der Tür an war ich über gekachelten Boden gegangen. Die Kacheln waren gelb. Durch das viele Wasser waren sie sauber gehalten worden, und der Weg führte leicht bergab, damit das Wasser auf die beiden in den Boden eingelassenen Gullys fließen konnte.
Die Klimaanlage sorgte für eine gleichbleibende Temperatur. Ich sah die vier Kästen an den Wänden und dicht unter der Decke. Zwei waren in das Gemäuer integriert, die beiden anderen standen hervor. Sie gehörten noch zur älteren Generation.
Wenn ich mich auf die Anlage konzentrierte, war sie auch zu hören. Ein feines Summen, immer gleichbleibend. Als wollte man den Leichen hier noch eine entsprechende Musik übermitteln. Tatsächlich konnten die Mitarbeiter hier Musik hören, denn auf dem Schrank stand ein Radio. Ich verzichtete darauf, es einzuschalten. Gesehen hatte ich in diesem fensterlosen Leichenraum genug, aber ich hatte nicht das gesehen, weshalb ich überhaupt gekommen war.
Keine der vier Leichen war geschändet worden!
Dennoch zog ich meinen Auftrag nicht in Zweifel. Was nicht war, konnte noch eintreten, denn die Nacht stand noch vor ihrem Beginn. Ich machte mich wieder auf den Weg zur Tür. Okay, es war abgeschlossen, aber ich verfiel deshalb nicht in Panik. Über Handy konnte ich Suko anrufen. Der würde so schnell wie möglich bei mir sein.
Was mich mehr beschäftigte, war die Tatsache, dass jemand
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