1180 - Der Drachenschatz
sie nicht und half dabei, den Toten auf den Boden zu betten. Als wir uns wieder aufrichteten, ging der Hausherr zu einem der kleinen Fenster undschaute hinaus. Es war Tag und auch hell. Er drehte mir den Rücken zu. »Ich sehe nichts, John.«
»Das soll wohl sein. Die Killer sind weg.«
»Und was machen wir?«
»Es bleibt dabei. Wir fahren zur Drachenküste.«
Flynn sagte nichts mehr. Dafür nickte er und zuckte die Achseln wie jemand, der das Schicksal sowieso nicht ändern konnte…
***
Der fremde Junge lächelte!
Ein gutes Omen, denn wer lächelt, hat nichts Böses im Sinn. Das jedenfalls schoss Leon durch den Kopf. Trotz dieser Feststellung hatte er sich noch immer nicht gefangen und war einfach unfähig, sich zu bewegen, so sehr hatte ihn der Anblick in seinen Bann gezogen. Mit dieser Überraschung hatte er nicht gerechnet.
Die Münze war ihm wieder in die Tasche gerutscht. Er dachte daran und brachte sie mit dem Auftauchen des Jungen in Zusammenhang. Aber das hätte er noch hingenommen. Es war der Anblick, der ihm den Atem raubte.
Er sieht aus wie ich, dachte Leon!
Ein Ebenbild. Ein Zwilling. Etwas anderes konnte er nicht denken. Als wäre dieser Junge ein vergessener Bruder gewesen, der sich all die Jahre woanders herumgetrieben hatte. Sie glichen sich aufs Haar, nur die Kleidung unterschied sich, und der andere Junge sah aus wie jemand, der aus der Vergangenheit gekommen war.
Der andere Junge stellte sein Lächeln nicht ab. Im Gegensatz zu Leon bewegte er seinen Kopf wie ein Mensch, der etwas Neues erlebt und sich interessiert umschaute. Er hatte eine Hand auf den Griff seines Schwerts oder seines Säbels gelegt, der aus der Scheide hervorragte. Er stand da wie verloren, aber so verloren sah er nicht aus. Das meinte jedenfalls Leon.
Der erste Schock war vorbei. Die Gedanken des Jungen flossen wieder. Schon bauten sich erste Fragen auf, und mit ihnen hielt er auch nicht über den Berg.
»Wie heißt du?«
»Ich bin Joel.«
»Aha.« Leon hatte den Namen noch nie gehört. Zumindest nicht in seinem Freundes- oder Bekanntenkreis. Joel war fremd hier, aber er machte dennoch keinen ängstlichen, sondern eher einen sehr interessierten Eindruck, wie er sich umschaute.
Er betrachtete den Strand, den Himmel, und er blickte auch zu den Dünen hin, die kleinen, mit harten Gräsern und Büschen bewachsenen Bergen glichen.
Leon traute sich nicht, näher an den fremden Jungen heranzugehen.
»Ähm… wo kommst du her, bitte?«
»Weiß nicht so recht…«
»Hast du kein Zuhause?«
»Doch.«
»Und wo?«
»Überall und nirgends. Auf dem Meer, auf den Schiffen. Wir mussten fahren.«
»Warum?«
»Weil der Schatz auf unserem Schiff war. Verstehst du?«
»Nein.«
Joel schaute sich wieder um. »Man hat uns gewarnt. Aber man hörte nicht auf die Warnungen. Wir fuhren in den Sturm, und wir fuhren auf die Drachenküste zu.«
»Da bist du jetzt.«
Joel nickte. »Ich weiß, aber es sieht alles so anders aus, verstehst du? Es hat sich verändert. Ist er denn noch da?«
»Wer? Von wem sprichst du?«
Joel war verwundert. »Kennst du ihn nicht?«
»Nein.« Leon zuckte die Achseln. »Ich weiß wirklich nicht, von wem du redest.«
»Von dem Drachen!«
Leon sagte kein Wort mehr. Mit dieser Antwort hatte er nicht gerechnet. Sie warf ihn nicht eben um, aber sie hatte es geschafft, ihn sprachlos zu machen.
»Sag doch was, Leon.«
»Ja, ja, ich kenne keinen Drachen.«
»Du hast ihn nie gesehen?«
»Nein.«
»Aber er lebt noch.«
»Das weiß ich nicht.« Leon ging einen Schritt näher. »Ich komme auch mit dir nicht klar, Joel. Wo hast du dich denn versteckt gehabt? Sag es mir!«
»Ich brauche mich doch nicht zu verstecken. Nein, das ist nicht nötig. Warum sollte ich mich verstecken?«
»Weil ich dich hier noch nie gesehen habe.«
»Ich dich auch nicht.«
Leon war durcheinander. Er stand hier mit einem Jungen am Strand, der aussah wie er. Das war schlagartig geschehen. Er hatte sich nicht darauf vorbereiten können, und genau das musste er zunächst mal verarbeiten. Außerdem wunderte er sich über die Kleidung des Fremden. Sie war so anders. So wie er lief niemand herum. Das waren Klamotten, die man in der Vergangenheit getragen hatte.
»Darf ich zu dir kommen, Joel?«
»Bitte, warum nicht? Ich bin nichts Besonderes. Ich bin kein Ritter und ich bin auch kein Pestkranker. Ich will nur über das Meer fahren. Wir mussten den Schatz in Sicherheit bringen, und wir mussten an der Drachenküste vorbei. Aber da
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