1180 - Der Drachenschatz
und her eilen konnte. Leon war, als hätte er Joel schon immer gekannt, wobei beide räumlich für einige Zeiten getrennt waren.
Er sah Joels klaren Blick auf sich gerichtet und schüttelte leicht den Kopf. »Wie ein Bruder«, flüsterte er dann. »Du bist wirklich wie ein Bruder von mir. Immer wieder bin ich an den Strand gegangen. Ich hatte das Gefühl, etwas suchen zu müssen. Jetzt weiß ich, was ich wirklich gesucht habe, nämlich dich.«
»Ja…«
Leon sprach weiter. »Wir sind nicht nur Brüder, wir sind auch wie Zwillinge. Wir gehören einfach zusammen. Die Zeiten haben uns getrennt, aber jetzt…« Er wollte noch mehr sagen, doch ihm fehlten die Worte. Hinzu kam, dass alles so unnatürlich war. Er konnte sich nicht richtig damit abfinden, denn mit einer gesunden Logik war das nicht zu erklären. Hier erlebte er ein Phänomen. Und er fasste es schließlich in einem Satz zusammen, ohne es begreifen oder logisch nachvollziehen zu können, welcher Hintergrund sich da aufgebaut hatte. »Du bist mein Zwilling aus der Vergangenheit, Joel. Ja, du hast damals gelebt, ich lebe heute. Aber ich weiß nicht, warum du noch lebst. Du hättest längst tot sein müssen.«
»Tot?«
»Ja. Überlege…«
»Nein, ich bin noch jung.«
»Das weiß ich. Aber es ist so viel Zeit vergangen. Ich glaube auch nicht, dass du in meiner Zeit groß geworden bist und dich so verkleidet hast. Das ist schon komisch. Ich hätte mir eigentlich Gedanken machen müssen, wie so etwas wahr sein kann, aber das kann ich nicht. Da ist eine Sperre. Ich akzeptiere es. Ich weiß es, mein Lieber. Ich weiß, dass du aus der Vergangenheit gekommen bist. Ich habe oft Bücher gelesen, die mit solchen Geschichten gefüllt waren, und ich habe mir immer vorgestellt, dass mir so etwas mal passieren würde. Ja, das wäre wunderbar gewesen, und jetzt ist es passiert. Du bist hier, und du stammst aus einer anderen Zeit. Wahnsinn. Ich will nicht darüber nachdenken, weil ich es nicht begreifen kann. Ich akzeptiere es auch ohne Erklärung, denn ich weiß, dass die Bücher nicht gelogen haben, und dass sogar ein großer Traum von mir wahr geworden ist.«
Joel hatte Leon ausreden lassen. Er schaute zu, wie dessen Hand wieder von seinem Körper weg und nach unten glitt, wo sie auspendelte. »Ich glaube, dass ich ähnlich gedacht habe.«
»Ach - wirklich?«
Joel nickte.
Leon fieberte einer Antwort entgegen. »Bitte, das musst du mir erklären.«
»Ich war schon öfter hier.« Als Leon nichts sagte, sprach er weiter. »Aber ich habe die Bucht und den Strand hier immer leer erlebt. Ich habe nie jemand gesehen, bis auf heute. Dabei wusste ich, dass es Menschen gibt, die auf mich warten. Ich weiß das. Es hat sich in mir festgesetzt. Menschen warten auf mich. Sie wollen etwas von mir, und ich will etwas von ihnen.«
»Was willst du denn?«
»Dir vieles zeigen.«
Das Blut schoss in Leons Kopf hoch. »Meinst du damit etwas, das in deiner Welt vorhanden ist?«
»So habe ich es mir gedacht. Das hier ist ein besonderer Ort. Ich habe auch nachgedacht. Es ist eine Brücke, die man nicht sieht, oder wie ein Tunnel. Ich gehe hindurch, ich erlebe eine andere Zeit, und ich treffe dich. Ich habe genau aufgepasst, was du mir alles gesagt hast, Leon, und ich habe es auch fast verstanden. Für mich ist alles fremd. Ich bin auch nicht weiter gegangen. Ich habe Menschen sprechen gehört, aber nie gesehen. Dabei wusste ich, dass sie ab und zu herkommen wie du. Und da habe ich eine Spur hinterlassen, die du ja sofort gefunden hast.«
»Die Münze?«
»Ja.« Joel schüttelte den Kopf und schaute sich dann um. So intensiv wie nie.
»Hast du was?«
»Ja, es geht um die Münzen. Ich habe nicht nur ein Goldstück hinterlassen.« Er spreizte die entsprechende Anzahl von Fingern. »Es waren genau drei.«
Damit hatte er Leon überrascht. »Nein, das kann ich nicht glauben. Wieso drei? Ich habe nur eine gefunden. Es waren keine weiteren hier, und ich habe mich umgeschaut. Das… das… glaubst du mir doch - oder?«
»Natürlich glaube ich dir. Du wirst mich nicht belügen. Nur habe ich dich auch nicht belogen.«
»Dann sind sie weg.«
»Das ist wohl wahr.«
Leon holte tief Luft. »Darf ich denn fragen, wo du die Münzen hingelegt hast?«
»Nicht zusammen. An verschiedenen Stellen. Ich habe schon gesucht, aber ich sehe sie nicht mehr. Ich glaube, sie müssen von einem anderen gefunden worden sein. Du gehst ja nicht allein zum Strand. Es werden auch andere Leute hierher
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