1191 - Monsterblut
woher er stammte, dann sagte er stets: »Ich komme aus der Mülltonne.«
Da hatte er nicht mal Unrecht, denn seine Mutter hatte ihn nach der Geburt in Decken gewickelt und zwischen die Mülltonnen eines Nonnenklosters gelegt. Dort war er dann von einem Hausmeister gefunden worden. Der hatte ihn den frommen Frauen gegeben, und die hatten ihn auf den Namen Brian getauft. So hatte auch der Hausmeister geheißen.
Die Nonnen hatten ihn aufgezogen und ihn später an Pflegeeltern abgegeben. Warum die Leute gerade ihn genommen hatten, wusste er nicht. Er war keine Schönheit. In der Schule nannten sie ihn Affe. Das aufgrund seiner vorstehenden und sehr breiten Stirn, dem eingedrückten Nasenwinkel und der Nase selbst, die sehr flach aussah. Einfach schlimm. Das Schicksal hatte ihm einen Tritt gegeben. Der Kopf war zu groß, der Körper zu schmächtig, und manches Mal kam er sich regelrecht verwachsen vor.
Da gab es Zeiten, da hatte er sich gehasst. Besonders in der Pubertät. Auch jetzt, als Achtzehnjähriger, hatte er sich daran noch nicht gewöhnt, denn viele, die er kannte, gingen mit Freundinnen herum. Er hatte nichts, gar nichts, denn wer wollte schon mit einem Affen zusammen sein?
Das hatte man ihm gesagt, und er hatte schwer darunter gelitten.
Und doch war er etwas Besonderes. Nein, er sah es in keinem Fall als Arroganz an, aber die Schwester Oberin hatte es ihm gesagt. Wenn auch mit dem Zusatz, dass jeder Mensch etwas Besonderes ist, doch bei ihm traf es auf eine besondere Art und Weise zu. Da musste irgendetwas in ihm stecken, das die Nonne selbst nicht klar hatte ausdrücken können, das sie jedoch herausgefunden hatte.
Er selbst hatte darüber gelacht und erst später festgestellt, dass sie möglicherweise Recht hatte.
Es hing mit den Stimmen zusammen, die er hörte. Stimmen oder Flattern. Vielleicht auch beides. Da war jemand dabei, mit ihm Kontakt aufzunehmen.
Mühsam stand er auf. Im Mund lag dieses trockene Gefühl. Selbst die Zunge schien mit einem Staubfilm bedeckt zu sein. Er wollte etwas trinken.
Wasser hätte er eine Etage tiefer trinken können, denn dort lag das Bad. Im Zimmer standen immer zwei Flaschen. Wenn er in der Nacht wach wurde und Durst verspürte, brauchte er nicht nach unten und durch das Treppenhaus zu gehen, denn sein Zimmer lag unter dem Dach.
Die Flaschen standen immer in der Nähe des Schreibtischs neben dem Computer.
Er schlüpfte in seine flachen Pantoffeln, der Teppich war einfach zu kratzig, schlurfte weiter und hielt plötzlich an, noch bevor er den Computer erreicht hatte.
Da war es wieder!
Schlagartig. Schon wie ein Überfall. Das verdammte Flattern, die unheilvolle Botschaft. So hart wie jetzt hatte er es noch nie wahrgenommen. Er kam sich plötzlich in der Falle vor. In seinem Kopf tanzten die Gedanken - oder war es das Fremde?
Er presste die Hände gegen den Kopf. Verzweifelt schloss er die Augen. Die Geräusche oder Stimmen in seinem Kopf hörten einfach nicht auf. Sie waren so intensiv wie nie, und plötzlich glaubte Brian, etwas Bestimmtes in seinem Kopf zu hören.
Die Stimme rief ein Wort, einen Namen - seinen Namen.
»Brian!«
Ein leiser Schrei löste sich aus seinem Mund. Er drehte sich auf der Stelle.
Wieder erwischte es ihn. »Hi, Brian!«
Der junge Mann stoppte mitten in der Bewegung. Plötzlich war alles klar geworden. Jetzt wusste er, woher die Stimme ihn getroffen hatte. Sie war nicht im Raum, denn dort befand er sich allein, sie erklang von außerhalb.
Am Fenster?
Er starrte auf die Scheibe. Das Fenster war als Gaube gebaut worden, so besaß es keine Schräge.
Unter ihm stand ein kleines Regal, in dessen Fächern Videofilme und Zeitschriften lagen.
Hinter der Scheibe lauerte die Nacht. Eine düstere Nacht. Sehr wolkig, sehr nass und auch windig.
Manchmal schlugen die Böen wie mit Peitschen gegen das Haus. Über den Himmel fegten die grauen und bleichen Gebilde hinweg. Sie wurden getrieben wie eine Horde Hunde, die keiner mehr haben wollte.
Zögernd ging Brian zum Fenster. Den Blick hielt er auf die Scheibe gerichtet, während er den Atem anhielt.
Dann war er da.
Über andere Dächer schaute er hinweg. Kamine kamen ihm wie angebrochene Arme irgendwelcher Monster vor. Aus manchen quoll der Rauch in dünnen Fahnen. Er wurde vom Wind schnell erfasst und zerflatterte.
Da war etwas gewesen. Grundlos hatte er sich dem Fenster nicht genähert. Hier musste etwas lauern, das ihm diese Botschaft gebracht hatte. Dieses verdammte Flattern, es
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