1192 - Angriff auf die Hundertsonnenwelt
Notfalls konnten seine Lungen bis zu vier Minuten ohne Luft auskommen. Das reichte immer noch, die Schleuse aufzusuchen, durch die er heraufgekommen war.
Vary legte den Kopf in den Nacken und blickte zum Himmel empor. Das fehlende Streulicht der Oberfläche ermöglichte einen ungetrübten Blick in den Leerraum außerhalb der Milchstraße. Wie ein Juwel lag die Linse der Heimatgalaxis in der undurchdringlichen Schwärze.
Seit ein paar Wochen hatte der intergalaktische Leerraum jedoch seinen Kontrast verloren. Die Wolke des Elements der Kälte dehnte sich immer weiter aus.
Vary rief sich in Erinnerung, was er über das Element der Kälte wußte. Es handelte sich um einen Einfluß aus einem anderen Universum, in dem der absolute Nullpunkt wesentlich niedriger lag als im Einstein-Universum. Was vom Element der Kälte befallen wurde, kühlte ab, bis die Temperatur den gewohnten Nullpunkt von - 273,16 Grad erreicht hatte. Danach verschwand es aus dem Universum in eine sogenannte Minuswelt, deren kosmische Proportionen größer waren als die des gewohnten Weltraums.
Drei Stützpunkte im Leerraum hatte das Element der Kälte bereits auf diese Weise verschlungen, und auch ein paar Raumer der Blues waren ihm bei seiner Entdeckung zum Opfer gefallen. Bestimmt gab es auch eine Dunkelziffer für Raumschiffe, deren Kapitäne einfach zu neugierig gewesen waren und in den Tod flogen.
Tormsen Vary blickte in Richtung der Eastside der Milchstraße. Er sah aas Glitzern der Milliarden und Abermilliarden Lichtpunkte, die als diffuse Wolke im Leerraum hingen. In den vergangenen Tagen und Stunden war die Wolke immer größer geworden. Das Element der Kälte näherte sich unaufhörlich Chort, und seine Entfernung von der Stützpunktwelt betrug höchstens noch zwei Lichttage.
Die glitzernden Punkte taten Vary in den Augen weh. Es war kein Sternenlicht wie das der Milchstraße, das einen beruhigte und bei längerem Betrachten melancholisch werden ließ, weil man die Größe des Kosmos und der Schöpfung zu erahnen glaubte. Es war kalt und grausam, es regte einen auf und ließ einen schaudern.
Einen Tag noch, vielleicht auch eineinhalb. Dann war es für Chort zu spät. Der Kommandant der GIGANT hatte allerdings einen Plan, wie sie das Vordringen des Elements der Kälte wenigstens kurzfristig aufhalten konnten.
Plötzlich kniff der selbst für ertrusische Verhältnisse riesige Vary die Augen zusammen. Ein Flimmern hatte sich über sie gelegt, und er blinzelte. Dann sprang er mit einem gewaltigen Satz vom Ladeturm hinab in Richtung Schleuse. Gleichzeitig schaltete er sich in den Funk ein, der auf ein Minimum gedrosselt war.
„Vary an zentrales Steuerplasma", rief er laut. „Das Element greift an!"
Außerhalb der glitzernden Wolke, die sich wie ein Schlauch weit in den Weltraum hinaus erstreckte, war ein kleinerer Teil des Kälteelements materialisiert. Die Miniwolke befand sich wesentlich näher an Chort. Vary schätzte die Entfernung auf maximal eine Lichtstunde. Der Vorgang konnte bedeuten, daß das Element in nächster Zeit direkt über Chort auftauchte.
Während Vary sich in die Schleuse warf und zurück zur Transmitterstation eilte, setzte er sich mit den Kommandanten des „Haufens" in Verbindung. Er rief zum Alarmstart und ordnete gleichzeitig an, daß die übrigen Schiffe des GAVÖK-Verbandes sich ein Stück weiter von Chort zurückzogen, um den Raumern der Posbis Platz zu machen, die wie ein Schwarm von Insekten aus dem Nichts um den Stützpunktplaneten auf die Oberfläche hinabstürzten und mit der Evakuierung begannen.
Das Wichtigste mußte gerettet werden. Vary dachte an das zentrale Steuerplasma unter seiner Kuppel, er dachte an die Matten-Willys und an die Roboter selbst. Er dachte aber auch an Franklin de Mille, der irgendwo dort unten integriert war und seine Schulung betrieb, als sei sein Leben nicht in Gefahr.
Der Kommandant der GIGANT traf auf einen Posbi, einen kleinen, kaum einen Meter hohen Roboter, der aus vier aneinandergesetzten Kästen bestand, die jeweils vier Tentakel zum Laufen und Greifen besaßen.
„Sage Curruzzel Bescheid", trug er dem Posbi auf. „Er darf unter keinen Umständen de Mille vergessen!"
Der Posbi stürmte davon, und Tormsen Vary verschwand in dem kleinen Transmitterraum und programmierte den Transmitter auf sein Raumschiff. Als der flammende Bogen stand, warf er sich in das Feld hinein.
Die Transformaktion lief an.
*
„Rettet das zentrale Steuerplasma!"
Der Äther
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