0127 - Al Capone Nummer Zwei
Viele Dinge geschahen in dieser Nacht. Eine Frau, Lil Forrester, erschoss den Mann, den wir überwachten, weil wir wussten, dass er ein Rad in der Organisation des großen Chefs war.
Wir hielten die Spur der Frau. Die Spur mündete in einen Cadillac, der sie auf nahm. Wir hielten auch die Spur des Cadillac, und diese Spur endete vor dem Jachthafen in der Werdoc Avenue am Michigan See. Zwei Männer versuchten, mit einem Motorboot über den See zu entkommen. Den einen erwischte eine Kugel. Er fiel in das brackige Wasser des Hafens.
Den anderen stellte ich draußen auf dem See. Ich sah sein Gesicht und erkannte Ty Mozzo, die rechte Hand des Chefs. Wir kämpften miteinander im rasenden Boot. Ich wollte ihn lebendig, aber er fiel über Bord. Der Kiel des Bootes ging über ihn hin, und die rasende Schraube tötete ihn.
Ich brachte das Boot zurück. Keine Spur mehr von der Frau? Im Heck des Bootes fanden wir einen großen, grauen Seesack, und als wir die Verschnürung lösten und das Leinen zurückstreiften, sahen wir das erloschene Gesicht der erwürgten Lil Forrester. Nur das blonde Haar schimmerte noch, als würde sie noch leben.
Zwei Dutzend Polizisten umstellten das Haus des Mannes, auf dessen Befehl dies alles geschehen war. Der Mann, der die Unterwelt der Stadt Chicago, vielleicht sogar die Stadt selbst so beherrschte wie nur ein Gangster vor ihm: Al Capone. Und der deshalb und nicht nur wegen der zufälligen äußerlichen Ähnlichkeit und der Narbe auf der Wange mit dem gleichen Namen genannt wurde: Al Capone II.
Ich hämmerte gegen die Tür der Villa in der Pelvue Road, in der dieser Mann wohnte, als wäre er der Chef eines Firmenkonzerns. Ein Angestellter öffnete. Kein Gorilla und Leibgardist, sondern ein echter Butler.
Die Waffen von vierundzwanzig Polizisten waren schussbereit, aber der Butler erklärte: »Mr. Capone, wie Sie ihn zu nennen belieben, befindet sich nicht in der Stadt. Er hält sich schon seit zwei Tagen zur Erholung im Charrington Hotel in Bell Springs auf.«
Darum jagten jetzt die Polizeiwagen durch die Nacht nach Bell Springs, dem Kurort, fünf Autostunden von Chicago entfernt, der augenblicklich bei den oberen Zehntausend in Mode war.
Im ersten Wagen fuhren Fred Hofman, der dicke Chef der Überwachungsabteilung des FBI Chicago und ich. Wir schwiegen. Vielleicht schlief Hofman sogar. Ich schlief nicht. Ich rauchte eine Zigarette nach der anderen.
Mozzo war tot. Lil Forrester war tot. Peter Collins, der Agent, lag erschossen in seiner Wohnung. Alles das geschah innerhalb weniger Stunden. Aber Capone lag in einem weichen Bett, fünf Autostunden von Chicago entfernt. Er würde die Augenbrauen heben, wenn wir ihn festnahmen. Er würde lächeln und sagen: »Gentlemen, ich habe mit alledem nichts zu tun. Ich war hier. Wollen Sie Zeugen dafür?«
Bell Springs liegt also am Michigan See wie Chicago. Die Nacht war endgültig einem grauen regnerischen Morgen gewichen, als wir durch den noch stillen Ort rasten. Stumm und mit verschlossenen Fensterläden lagen die großen Hotels an der Promenade. Es war genau sechs Uhr morgens, als unsere Wagenkolonne vor dem Charrington stoppte.
Putzfrauen wirkten in der Halle mit Staubsaugern und Besen. Der Empfangschef sah überrascht von seinen Büchern hoch, als Hofman und ich an seine Loge traten.
»FBI«, sagte ich und wies den Ausweis vor. »Wir suchen Al Capone…«
»Wen, bitte?«, fragte er verdattert zurück.
»Einen Mann, rund vierzig Jahre alt, schwarzes, glattes Haar und mit einer Narbe auf der linken Wange.«
»Meinen Sie etwa Mr. Nown? Ihre Beschreibung passt auf ihn.«
»Es ist gleichgültig, wie er sich bei Ihnen nennt. Welches Zimmer?«
»Appartement 5 bis 7 in der ersten Etage.«
»Sind für Mr. Nown heute Nacht Telefonanrufe aus Chicago gekommen?«, fragte Hofman.
Der Empfangschef zögerte. »Ja, ich glaube, es waren mehrere.«
»Danke!« Wir wandten uns zur Treppe. Der Empfangschef flatterte hinter seiner Loge hervor wie eine Krähe.
»Meine Herren«, beschwor er uns mit großen Armbewegungen. »Bitte, keinen Skandal. Ich flehe Sie an. Der Ruf des Hotels…«
Wir gingen die mit dicken Teppichen belegte Treppe hoch. Eine goldene 5 stand über der weiß lackierten Tür.
Ich klopfte hart.
»Herein!«, antwortete von innen eine Männerstimme.
Ich stieß die Tür auf und stand Capone gegenüber.
Der Gangsterchef saß in einem Sessel, vollständig bekleidet. Er hielt eine schwere, schwarze Zigarre zwischen den Lippen und rauchte,
Weitere Kostenlose Bücher