12 Tante Dimity und der Wilde Westen (Aunt Dimity Goes West)
vier Debattierclubs und zahllose Spielhöllen, Saloons und Hurenhäuser. Und nicht weniger als sieben Kirchen. Ich müsste nachschlagen, um Ihnen die genaue Anzahl von Geschäften zu nennen, die damals in Bluebird existierten, aber Sie konnten hier fast alles bekommen, was es auch in Denver gab. Sieben Mal am Tag hielt hier ein Personenzug.«
Ich sah sie erstaunt an. »Was ist geschehen? Nicht dass Bluebird nicht reizend wäre, so wie es ist«, fügte ich rasch hinzu, »aber es ist kaum mehr eine Metropole.«
»Boom und Crash«, entgegnete Rose lakonisch. »1893 fiel der Preis für Silber in den Keller, damals, als das Land zur Goldwährung überging. Die Silberadern versiegten, die Minenarbeiter suchten sich andere Jobs, und die Geschäfte machten Pleite. Bluebird schrumpfte. 1930 lebten nur noch etwa tausend Menschen im Vulgamore-Tal. Die Regierung entschied, dass sich das Tal gut für den Bau eines Wasserreservoirs eignen würde, zum Teil auch, weil nur noch so wenige Einwohner umgesiedelt werden mussten.«
»Moment mal«, sagte ich und schaute zum Erkerfenster hinaus. »Wollen Sie damit sagen, dass Bluebird einst dort stand, wo jetzt der Lake Matula ist?«
»Genau«, sagte Rose. »Und ich kann es beweisen. Möchten Sie ein Foto von Bluebird in seiner Blütezeit sehen?«
»Sehr gerne«, sagte ich.
Rose ging aus dem Wohnzimmer und kehrte kurz darauf mit einem länglichen, gerahmten Foto in Sepiatönen zurück, das fast einen Meter lang war. Toby und ich rückten beiseite, damit sie sich zwischen uns setzen konnte, und sie stellte das Bild auf ihren Schoß, damit wir es betrachten konnten.
»Es handelt sich um eine Collage«, erläuterte sie, »die ein Fotograf namens Mervyn Blount 1888 zusammengesetzt hat. Mr Blount kam in jenen frühen Tagen in die Stadt, um das Leben der Schürfer zu dokumentieren, und er blieb, um die aufstrebende Stadt zu fotografieren. Er war ein Naturbursche. Diese Fotos hat er von einem Aussichtspunkt auf halber Höhe von Ruley’s Peak gemacht, und der Berg ist nicht leicht zu besteigen.«
Neugierig betrachtete ich die Panorama-Ansicht, die Mervyn Blount aus mehreren Bildern zusammengestellt hatte. Das Vulgamore-Tal war kaum zu erkennen. Alle möglichen Gebäude drängten sich um ein paar Straßen herum, die parallel zu einem schmalen Strom auf dem Grunde des Tales verliefen – »Bluebird Creek«, belehrte mich Rose. Aus dem sich schlängelnden Canyon, den wir auf dem Weg von Denver passiert hatten, liefen Eisenbahnschienen, und auf den Berghängen sah man weit und breit kein Stück Wald.
»Wo sind die Bäume?«, fragte ich erstaunt.
»Dienten als Stützen für die Grubenschächte, hielten Öfen in Gang, beherbergten Maschinen und Menschen«, antwortete Rose trocken. »Bergbau war in jenen Tagen nicht gerade umweltfreundlich, ist es heute immer noch nicht.« Sie deutete auf einen unscharfen Komplex von Holzgebäuden an der Nordflanke des Tals. »Die Lord-Stuart-Mine blieb etwas länger offen als die Silberminen, weil sie Gold produzierte, aber die Goldadern versiegten ebenfalls, wie es bei Goldadern nun mal so ist, und 1896 wurde sie geschlossen.«
»Und vierzig Jahre später hat man die Talsperre gebaut und die Stadt untergehen lassen«, sinnierte ich.
»Als sie das Tal fluteten, war von der Stadt nicht mehr viel übrig.« Roses Finger wanderte von der linken zur rechten Seite des Fotos. »Lange vor dem Bau der Talsperre hatten mehrere Überschwemmungen die verbliebenen Einwohner auf die höheren Lagen am Westende des Tals gedrängt. Sie retteten so viel sie nur konnten aus den Ruinen der alten Stadt.«
»Danny Auerbach ist ihrem Beispiel gefolgt«, kommentierte ich. »Er benutzte das Holz der alten Minengebäude für den Bau des Aerie.«
»Spare in der Zeit, so hast du in der Not.« Rose deutete auf das Foto. »Das Pfarrhaus wurde dort errichtet, wo es heute steht, aber die treue Gemeinde des Guten Hirten baute die Kirche 1934 ab, ein Jahr bevor der Bau des Reservoirs begann, und richtete sie an der heutigen Stelle wieder auf.«
»Direkt neben einem Bordell?«, staunte ich.
Rose lachte. »Unser Haus wurde nur wenige Jahre als Bordell genutzt, danach wohnten sehr anständige Familien darin. Als mein Ehemann und ich vor fünfunddreißig Jahren nach Bluebird kamen und dort einzogen, haben wir erst einmal alles gründlich renoviert. Glücklicherweise erlebte die Stadt damals aufgrund des Tourismus wieder einen kleinen Aufschwung. Heute beuten wir keine Gold- und Silberminen
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