1204 - Der Häuter
Sense.
»Komm her - komm endlich her…«
***
Suko hatte sehr schnell erkannt, dass ihm die Suche nichts einbrachte. Es war vertane Zeit, hinter jeden Grabstein zu schauen und nachzusehen, ob sich dort der Häuter versteckt hielt. Auch die Suche beim Demo-Grab hatte ihm keinen Erfolg gebracht, und so blieben eigentlich nur die beiden Gebäude.
Er näherte sich vorsichtig dem Wohnhaus. Von der Seite her schlich er heran, schob sich an weiteren Grabsteinen vorbei und erreichte die Vorderseite mit den Fenstern.
Er warf einen Blick in den Geschäftsraum, in dem die Kunden empfangen wurden. Die Gardine störte schon etwas. Suko versuchte, den Raum von unten und auch von oben zu überblicken - und zuckte zusammen, als er die Frau sah, die über dem Schreibtisch zusammengebrochen war, hinter dem sie saß.
Es war Mona Navis!
War sie tot?
Suko eilte zur Tür. Sie war verschlossen. Aufbrechen wollte er sie nicht. Er riskierte noch einen zweiten Blick und entdeckte zumindest keine Wunde.
Das gab ihm Hoffnung.
Vielleicht war sie nur eingeschlafen oder aus irgendeinem Grund ohnmächtig geworden.
Dass Mona Navis aus dem Spiel war, müsste nicht bedeuten, dass mit ihrem Mann das gleiche geschehen war. Er konnte durchaus seine eigenen Pläne verfolgen. Jedenfalls war es für Suko verdammt eng geworden, und er dachte auch an seinen Freund John, von dem er nichts gehört hatte.
Sie beide waren ein eingespieltes Team. Wenn John einen Schritt weiter gekommen war, dann hätte er, wäre alles dabei normal verlaufen, längst Bescheid gegeben. Das war nicht passiert. Suko wollte nicht glauben, dass sein Freund nichts entdeckt hatte. Nach der Entdeckung der Frau erst recht nicht.
Er war länger unterwegs gewesen als sein Freund, der nur die Werkstatt hatte durchsuchen wollen.
Sie war Sukos nächstes Ziel.
Nach wenigen Sekunden hatte er sie erreicht. Die vordere Tür war geschlossen. Er wollte sie auch nicht öffnen, sondern schlich an der Seite entlang, an der sich auch die Fenster befanden. Dabei überkam ihn das Gefühl, sich beeilen zu müssen. Trotzdem huschte er unter dem schwach erleuchteten Fenstern bis zur Mitte hin und richtete sich dort erst auf.
Sehr vorsichtig spähte er durch die Scheibe. Die Verwü nschung blieb ihm im Hals stecken. Er sah zwar, dass sich jemand in der Werkstatt aufhielt, aber das Fenster war einfach zu dreckig, um Einzelheiten zu erkennen.
Dafür hörte er das Kreischen der Kreissäge. Um diese Zeit wurden bestimmt keine Steine mehr geschnitten. Dass sie angestellt worden war, hatte einen anderen Grund.
Er griff noch nicht ein. Dafür rieb er außen an der Scheibe.
Hoffte, dass man ihn nicht bemerkte.
Er bekam das Glas etwas klarer, aber die innere Schmutzschicht war noch verdammt dick.
Trotzdem konnte er besser sehen.
Zwei Männer.
Einer - Clive Navis - bedrohte einen zweiten Mann mit der Waffe.
Das war John!
Und er stand nicht mehr still. Er ging - das sah Suko sehr deutlich - in eine bestimmte Richtung.
Dort wartete nicht nur die Gestalt mit der Sense auf ihn, sondern auch das Rad der Kreissäge.
Suko zog seine Beretta…
***
Ich ging auf Ben Navis zu!
Es gehörte zu meinen Albträumen, dass mein Leben durch eine Kreissäge beendet werden würde. Es war das Schrecklichste, was ich mir vorstellen konnte. In diesen Augenblicken hatte ich das Gefühl, dass die Haut auf meinem Rücken zu Eis wurde. Die runde Säge drehte sich noch immer mit einem hohen und singenden Geräusch, so schnell, dass ihre Spitzen nicht zu sehen waren. Ich hatte Mühe, nicht dorthin zu schauen, weil ich mich auf Navis konzentrieren musste.
Dass sein Neffe mit der Waffe auf mich zielte, nahm ich hin.
Das interessierte mich nicht besonders, denn die Gestalt mit der Sense war wichtiger. Ben Navis hatte den Mund geöffnet. Ich rechnete bei ihm mit einem Lachen, doch das drang nicht hervor. Es schien auf halbem Weg erstickt zu sein.
Er ging einen kleinen Schritt von der Kreissäge weg, um Platz für seine Aktion zu haben. Er lauerte mit schlagbereiter Sense auf mich. Wahrscheinlich wollte er mir damit die erste Verletzung zufügen, um dann an die Kreissäge heranzukommen.
Ich wartete auf eine Reaktion. Sie erfolgte nicht, weil ich noch zu weit entfernt war. Dann legte ich den nächsten Schritt zurück, danach den übernächsten - und hatte genau die Distanz erreicht, die sich Navis gedacht hatte.
So etwas wie ein Jubelschrei drang aus seinem Mund. Er riss die Sense hoch und hielt den Griff wieder mit
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