1207 - Im Bann des Kraken
spurlos das Feld geräumt hatten. Sie waren einfach weg, und niemand hatte sie nachher gesehen.
In der dritten Kelleretage kehrte das Rauschen zurück. Zunächst nahm er es nur als leises Säuseln wahr.
Er ging den Korridor entlang, und seine Ohren standen steil nach vorn. Es kam vom Ende des Ganges, aber dort war nur Finsternis.
Chulch erreichte die Wand. Der Korridor war zu Ende, aber auch der Turm hörte hier auf. Die Krümmung der Mauer aus Stahlplastik verriet es ihm.
Das Rauschen war lauter geworden. Es kam von jenseits der Mauer.
Der junge Status-Eins-Bürger überlegte. Er suchte in seinem Wissen, ohne etwas zu finden, womit er sich das Geräusch erklären konnte. Also probierte er es mit Vermutungen.
Das Rauschen konnte ein Defekt sein. Oder jemand betrieb etwas, wovon andere nichts wissen sollten.
Mit den Händen begann er die Mauer abzutasten. Dabei berührte er einen nicht sichtbaren Kontakt, denn plötzlich gab die Mauer nach, und er blickte verdutzt in einen schmalen Gang, der von wenigen Notlampen erhellt war.
Chulch zögerte, aber das Bewußtsein der Gefahr, in der er sich durch die hereinbrechende Schwarzzeit befand, trieb ihn vorwärts. Er war auf der Spur eines Geheimnisses, und gleichzeitig erhielt er dadurch die Möglichkeit, sich zu verstecken.
Er trat durch die Öffnung, die sich umgehend wieder schloß. Vorsichtig bewegte er sich weiter, während das Rauschen lauter wurde. Nach etwa hundert Metern, er mußte sich längst unter dem Fundament der Pyramide befinden, kam er an eine Tür. Sie war angelehnt, und er schob sie ein Stück zur Seite.
Was er sah, ließ ihn an seinem Verstand zweifeln. Er blickte auf eine riesige Halle hinab, in der etliche hundert Bürger verschiedenster Wesensart arbeiteten. In der Mitte der Halle stand ein Ungetüm von einem Vogelwesen und bewegte die mächtigen Schwingen auf und ab.
Chulch benötigte einige Zeit, um zu begreifen, daß es ein künstliches Gerät war. Die Flügel rauschten gewaltig, und die Geräusche waren über den Ventilationsschacht bis in den Hinterhof zu hören. Kurz darauf erklang ein Ruf, und der Metallvogel stellte die Flugbewegungen ein. Das Rauschen erstarb.
Fassungslos beobachtete der Status-Eins-Bürger, wie Wesen mit Werkzeugen auf die Flügel hinaufkletterten und dort Veränderungen vornahmen. Ein Verdacht drängte sich ihm auf, eine Ahnung. Er wollte bereits umkehren und die Flucht antreten. In diesem Augenblick wurde er entdeckt.
Mehrere Schreie lenkten die Aufmerksamkeit auf ihn. Er zog sich in den Korridor zurück.
„Habt keine Angst!" rief er den heranstürmenden Wesen entgegen. „Ich bin kein Spion!"
Sie drangen aus der Halle auf ihn ein, und Chulch erkannte entsetzt, daß sie Waffen bei sich trugen, die nicht von den Starsenspendern stammten.
Sie umringten ihn und warteten auf etwas oder jemanden. Kurz darauf bildete sich ein Schatten unter der Tür ab. Eine Gestalt trat heraus, bei deren Anblick Chulch laut aufschrie.
„Du?"
Sein Gegenüber ließ erleichtert die Waffe sinken. Er gab den anderen einen Wink.
„Chulch", stieß er hervor. „Es ist doch nicht möglich!"
„Es ist Zufall", rief der junge Treumann aus. „Du bist Gradunoch. Aber wie kommst du in dieses unbekannte Stadtviertel? Und was hat es mit dem künstlichen Vogelwesen auf sich?"
„Viele Fragen auf einmal", lächelte Gradunoch. „Ich wohne in diesem Viertel, seit mein Vater verschwunden ist. Und der Vogel ist mein persönliches Werk. Wer schickt dich?"
Chulch reagierte so schnell, daß er selbst verblüfft war. Er wußte, daß Gradunochs Vater Status-Zwei-Bürger gewesen war. Gradunoch war der Erstgeborene. Als Kinder waren sie in der Nachbarschaft aufgewachsen, und Chulch hatte Gradunoch oft auf seinem Rücken reiten lassen.
„Laß mich dein Treumann sein, Gradunoch", sagte er ruhig. „Dann werde ich dir alles berichten, was ich erlebt habe!"
Gradunoch, ein insektoides Wesen aus dem Volk der Freynyns, machte eine zustimmende Geste.
„Ich vertraue dir, Chulch. Du warst immer ein Wesen ohne Hinterlist. Komm herein!"
Er wich zur Seite aus, und der Status-Eins-Bürger bewegte sich vorwärts auf die Tür zu, an der er gelauscht hatte. Er trat hindurch und schritt eine schmale Galerie entlang, von der aus eine steile Treppe in die Tiefe führte. Er hatte Mühe, seinen massigen Körper hinabzubringen, aber seine drei Beinpaare taten auch hier ihren Dienst.
Chulch stieg in die Halle hinab. Er war erleichtert, weil er wieder Treumann war.
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