1228 - Der Monstervogel aus Atlantis
auf die Formationen geworfen, als Myxin mich ansprach und mich durch seine Worte ablenkte. »Ob du es glaubst oder nicht, John, aber hier ist seine Heimat. Hier hat er tatsächlich sein Nest.«
»Und wo?«
»Komm mit.«
Er hatte es geflüstert. Wohl aus Furcht, dass er gehört werden konnte, obwohl sich in unserer Umgebung nichts regte und mir dieser Gryx auch noch nicht vor die Augen gekommen war.
Wir gingen nicht weit, als Myxin seine Schritte stoppte und den linken Arm langsam hob. Ich verfolgte seine Bewegung genau und merkte, wie sich die Spannung in mir ausbreitete.
»Dort oben«, sagte er nur.
Ja, jetzt sah ich ihn auch. Myxin, der mich von der Seite her anschaute, wartete auf einen Kommentar, den er allerdings nicht bekam, weil es mir die Sprache verschlagen hatte.
In der Mitte der hochragenden Felsenwand existierte ein Vorsprung, der weit genug nach vorn ragte, um den nötigen Platz auch für einen derartigen Monstervogel zu bieten.
Es war in der Tat ein Riesentier, dessen Anblick mir den Atem raubte. Aber das war nicht alles. Auf seinem Kopf und vom Schnabel etwas zurück nach hinten versetzt, stand in der Haltung einer Königin eine blonde Frau…
***
»Nein«, flüsterte ich.
Myxin sah mein Erschauern. Er lachte sehr leise und fragte:
»Was meinst du damit?«
»Die… die Frau.«
»Ja, du bildest sie dir nicht ein. Es gibt sie tatsächlich. Und sie steht auf dem Kopf des Vogels.«
Ich war noch immer geplättet. Damit hatte ich nicht gerechnet. »Warum hast du mir nichts gesagt?«
»Ich wollte dich überraschen.«
»Das ist dir gelungen.« Mich interessierte der Vogel nicht, sondern mehr die Frau. »Wie heißt sie?«
»Man nennt sie die Mutter.«
»Ach…«
»Ja, denn das hat seinen Grund. Gryx und sie sind Partner. Die beiden gehören zusammen, denn als Gryx ent stand oder geboren wurde, war sie bereits da. Sie hat ihn großgezogen, sie ist immer an seiner Seite geblieben. Sie hat dafür gesorgt, dass er wuchs, und sie hat ihm die Nahrung besorgt. So lange, bis er ausgewachsen war, um sich selbst zu erhalten.« Myxin hob die Schultern. »Auch dann ist sie noch bei ihm geblieben und fliegt nun mit ihm durch die Lüfte.«
»Hat sie auch einen Namen?«
»So weit ich mich erinnere, heißt sie Sina.«
Der Name sagte mir nichts, deshalb zuckte ich auch die Achseln. Die Geste wiederum sorgte bei Myxin für eine Erklärung.
»Sina ist ein Mensch. Sina ist schön, aber sie war auch falsch. Man nannte sie die Sirene, die Menschen anlockte und die Falle dann zuschnappen ließ. Sie hat bei den Menschen gewohnt, aber sie wurde auch von ihnen ausgestoßen, nachdem man ihren Charakter erkannt hatte. So ging sie in die Wildnis. Dort hat sie dann den kleinen Gryx getroffen und ihn großgezogen.«
»Hört sich an wie ein Märchen«, sagte ich leise.
»Wenn es ein Märchen ist, John, dann ein böses. Sina mag die Menschen nicht. Sie kann nicht vergessen, dass sie von ihnen ausgestoßen wurde, ohne dabei allerdings an ihre eigenen Fehler zu denken. Jetzt führt sie ihr Leben zusammen mit dem Vogel, und sie scheint dabei auch sehr glücklich zu sein.«
Ich glaubte nicht, dass uns Sina gesehen hatte, denn sie schaute auf dem Kopf des Vogels stehend in eine andere Richtung. Sie blickte in die Ferne wie jemand, der das Ende des Regenbogens sucht, ohne es allerdings finden zu können.
Sie trug dunkle Kleidung, wobei ich nicht unbedingt von einer Kampfkleidung sprechen wollte. Der Wind bewegte einen langen Rock, der auf mich schwer wie Leder wirkte. Ich bekam die langen Beine zu sehen und auch die Stiefel, die fast bis zu den Knien reichten. Ihr Haar war sehr hell, aber sicherlich nicht gefärbt. Es zeigte einen kurzen Schnitt, der allerdings so weit in den Nacken hineinfiel, dass er am hochgestellten Kragen der ebenfalls dunklen Jacke endete.
Der nächste Windstoß ließ ihr Haar anders aussehen. An ihrer rechten Kopfseite flatterte es wie eine Fahne vorbei, bevor es sich wieder zurück in die alte Form legte.
Bewaffnet war sie auch. Sie hatte ein Schwert gezogen, hielt es mit beiden Händen fest, wobei die Spitze die Haut des Riesenvogels berührte, was dem allerdings nichts ausmachte.
Ich hatte vorerst genug gesehen und wandte mich wieder dem kleinen Magier zu. Er stand mit verschränkten Händen neben mir, und auf seiner glatten Stirn hatte sich ein leichtes Muster aus Falten gebildet. Ein Beweis, dass auch er sehr nachdenklich geworden war.
»Jetzt möchte ich nur wissen, aus welch einem Grund
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