1238 - Justines Blutfest
wollte Justine von ihrem Mann wegzerren. Er sollte nicht in das neue, untote Leben, das keines war, hineingleiten.
Im ersten Moment hatte sie auch Glück. Durch das heftige Zerren löste sich der Mund vom Hals des Mannes. Das Gesicht zuckte hoch, und Rose gelang ein schneller Blick hinein.
Es sah furchtbar aus.
Um den Mund herum war es blutverschmiert, und das Blut war auch über das Kinn gelaufen und hatte seine Spuren am Hals hinterlassen. Die Augen der Blonden waren dunkel geworden, und Rose glaubte, in den Pupillen ebenfalls Blut zu sehen.
»Du Bestie, du… du…«
Der Schlag mit der linken Hand sah so lässsig aus. Aber das war er nicht. In dieser Person steckte eine unmenschliche Kraft, und deshalb wirkte der so leicht geführte Schlag doppelt hart.
Rose Carry verlor den Halt. Plötzlich fühlte sie sich wie von einem Orkan gepackt. Sie flog durch den Raum, riss noch einen Stuhl zur Seite und prallte dann gegen den Aufbau der Theke.
Sie schrie nicht mehr. Sie blieb stumm. Nur ihre Augen verdrehten sich, dann war es vorbei, denn die Schatten der Bewusstlosigkeit senkten sich über sie.
Justine fuhr wieder herum. Sie war noch längst nicht satt, und da gab es noch ein zweites Opfer.
Kevin Taggert sah den Blick auf sich gerichtet. Er befreite sich von der störenden Decke, rutschte mit dem Stuhl zurück und riss beide Arme abwehrend in die Höhe.
Justine lachte nur darüber.
Mit einer lässigen Bewegung beugte sie sich vor. Zwei Sekunden später hatte sie ihn gepackt und in die Höhe gehievt.
Er schrie. Nein, er jammerte, und das hörte auf, als er rücklings auf den runden Tisch gewuchtet wurde. Er lag jetzt so wie Tom Carry, in einer idealen Lage, fertig für den klassischen Biss.
Genau das tat Justine.
Diesmal rammte sie ihre Zähne in die linke Halsseite hinein.
Der Mann zuckte noch einmal, aber er kam nicht in die Höhe, sondern blieb durch den Druck auf der Tischplatte liegen.
Ihr Mund hing an seinem Hals.
Und sie saugte. Sie saugte so stark, als hätte sie kein Blut zuvor getrunken. Bei jedem Schluck zogen sich ihre Wangen zusammen, und sie spürte, wie der Lebenssaft wie von einem frischen Quell gespeist in ihren Hals hinein sprudelte.
Für die Cavallo war es herrlich. Es war ihre Stunde, und es war zugleich ihr Blutfest, das am besten nie, niemals enden sollte…
***
Irgendwann war der Rausch vorbei. Man konnte es mit dem Erwachen eines Menschen aus einem tiefen und erquicklichen Schlaf vergleichen, als sie den Kopf anhob und auf die beiden bewegungslosen Menschen starrte, die wie dekoriert auf dem Tisch lagen.
Zwischen ihnen hatte sich eine klebrige Blutlache ausgebreitet. Blaue und fahle Gesichter. Offene Augen, die mit leeren Blicken gegen die Decke schauten. Keiner der Männer würde versuchen, sie aufzuhalten.
Justine drehte sich um.
War sie satt?
Nein, sie war eigentlich nie satt. Sie brauchte auch nicht die letzten beiden Menschen leer zu saugen, aber sie wollte ihr Blut trotzdem schmecken, und Rose Carry lag für sie wie auf dem Präsentierteller. Der Aufprall gegen den Unterbau der Theke hatte sie stark mitgenommen und ihr das Bewusstsein geraubt.
Justine hätte sie wieder erwecken können, aber das wollte sie nicht. Außerdem gab es da noch Amy, die Tochter. Um die musste sie sich ebenfalls kümmern. Hinzu kam, dass sie nicht allein auf der Insel war. Es gab noch mehr Menschen, aber es gab auch ihre beiden Todfeinde, und die durfte sie auf keinen Fall unterschätzen. Außerdem würden sie nicht die halbe Nacht unten am Hafen beschäftigt sein. Justine hatte trotz ihrer Gier das normale Denken nicht vergessen, und darin glich sie wieder einem Menschen.
Sie zerrte die Bewusstlose hoch. Sie drückte die Frau gegen den Handlauf des Tresens, packte mit einer Hand den Kopf und drückte ihn so weit zurück, dass sich die Haut am Hals straffte, sodass die feinen Adern deutlicher hervortraten.
So musste es sein…
Dann biss sie zu!
Dass aus dem Mund der Rose Carry ein leises Stöhnen drang, nahm sie nur mehr am Rande wahr. Für sie war es wichtig, weiteres Blut zu trinken, denn in der nahen Zukunft musste sie so stark wie möglich sein.
Und so schluckte und genoss sie weiter. Der herrliche Saft strömte in ihre Kehle, und sie war erfahren genug, um auch den anderen Geschmack mitzubekommen.
Er war ganz anders. Er schmeckte frischer, obwohl es eine ältere Frau war. Jedenfalls genoss sie ihn und war froh, ihr Blutfest fortsetzen zu können.
Sie trank Rose nicht ganz leer.
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