124 - In der Gewalt der Daa'muren
zu ihrer persönlichen Bewachung abkommandiert worden zu sein. Auf Schritt und Tritt folgte er ihr. Lieutenant Jennifer Jensen alias Königin Jenny war Gefangene im eigenen Haus. Ihre Brust fühlte sich an wie zugeschnürt, in ihrem Kopf schien Quecksilber hin und her zu schwappen – die Angst um Ann, der Hass auf Arnau und das Gefühl der Ohnmacht brannten in ihrem Körper wie ein nie mehr zu heilender Schmerz. Wieder blickte sie auf die Uhr: 15:49. Nein, dieser Tag war noch lange nicht zu Ende; vielleicht würde er niemals enden. Jenny dachte an das ISS-Funkgerät in der Schublade ihres Tisches…
***
Est'sil'aunaara behielt die blonde Männergestalt bei. Man musste die Primärrassenvertreter an diesem Ort nicht unnötig verwirren.
Sie öffnete das Osttor persönlich.
Die Raketenwerfer und den Lastwagen mit den Nuklearsprengköpfen im Schlepptau, rollte der erbeutete Panzer auf den Hauptweg. An den Fenstern sah sie entsetzte Gesichter, vorwiegend von weiblichen Individuen. Die meisten männlichen Bewohner der Siedlung waren entweder mit Bulldogg in den Wäldern unterwegs oder bewachten den sogenannten Palast. Es waren vor allem Männer, die Est'sil'aunaara bisher in der Gestalt Nauras hatte infizieren können. Die nicht infizierten und damit noch schwer kontrollierbaren Frauen würden den Virus in den nächsten Stunden verabreicht bekommen.
Es war das zweite Mal nach dem Bunker in Marienthal, dass sie von der Regel abwichen, nur einzelne Primärrassenvertreter zu infizieren. Hier musste die ganze Siedlung unter Kontrolle gebracht werden, und das war zum Scheitern verurteilt, wenn einzelne Menschen ihren freien Willen behielten.
Dabei konnte Est'sil'aunaara nur wenige Infizierte direkt kontrollieren. Ihre mentalen Kräfte reichten bei weitem nicht aus, alle Bewohner Beelinns zu erreichen. Und so vegetierten die meisten wie betäubt vor sich hin, dem einen Befehl folgend, auf weitere Anweisungen zu warten.
Sie dachte an Rulfan, den sie ebenfalls infiziert hatte und dann zurücklassen musste. Auch er würde treu auf ihre Rückkehr – oder die Ankunft eines anderen Daa'muren – warten, bis er sein zerstörerisches Potenzial entfachte. Die Fessel um seinen Geist hatte sie allerdings nicht allzu eng gezogen, damit er während ihrer Abwesenheit nicht enttarnt wurde. Dazu war er als Mefju'drex' Freund und Sohn des Bunkerführers von Salisbury viel zu wertvoll. Est'sil'aunaaras Gedanken kehrten zur Königin zurück. Sie hatte sie unter Hausarrest gestellt und über die Siedlung ein Ausgehverbot verhängt. Einer ihrer Gefährten hatte einen geeigneten Gebäudekomplex an der Ostmauer ausgesucht; ein Lan namens Tubaris aus der symbiotischen Einheit der Veda. Außerdem rekrutierte er zwanzig Individuen, jung und männlich, um das für Projekt Daa'mur so wichtige Material abzuladen und im Keller eines gut erhaltenen Hauses zu deponieren. Mit dem Abriss der Ostmauer würde man erst in einigen Tagen beginnen. Veda'lan'tubaris arbeitete bereits an einem Plan zur Erweiterung der Siedlung.
Außer Veda'lan'tubaris hatten drei weitere Gefährten den Transport begleitet. Ein Hal und eine Lan waren in Marienthal zurückgeblieben, um die vorgeschobene Basis dort auszubauen. Alles Daa'muren, mit denen Est'sil'aunaara sich einst auf die Suche nach Mefju'drex und ihren Sohn gemacht hatte. Auf eigene Faust war sie in dem erbeuteten Panzer aufgebrochen, von jenem Gebirge aus, das die Primärrassenvertreter »Ural« nannten. Über ein Planetenjahr war das her. Ein erfolgreiches Jahr, eine Zeitspanne voller Schaa'al'uut, wie man früher auf Daa'mur zu sagen pflegte.
Nun musste nur noch Mefju'drex nach Beelinn zurückkehren.
Und er würde zurückkehren, es war nur eine Frage der Zeit.
Franz-Gustav von Leyden – ein leicht zu handhabendes Objekt – beaufsichtigte die Arbeiten im neuen Stützpunkt allein. Gemeinsam mit seinen drei Begleitern und Conrad von Leyden – ein eher sperriges Objekt und gar nicht leicht zu kontrollieren – begann Veda'lan'tubaris Gasse für Gasse, Haus für Haus zu durchkämmen. Sie suchten nach noch nicht infizierten Individuen.
Est'sil'aunaara selbst machte sich in Gestalt Arnaus auf den Weg zu ihrem Stützpunkt, dem Haus des ehemaligen Ersten Königlichen Beraters. Höchste Zeit, mit Thgáan Kontakt aufzunehmen und dem Sol am Kratersee das Schaa'al'uut der vergangenen Tage zu melden.
Vor seinem Haus warteten Deenis und ein paar Bewaffnete, allesamt kontrollierte Objekte – bis auf einen: ein junges
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