126 - Hinter der Grenze
erinnerte an einen besonderen Schrecken aus den Horrorfilmen längst vergangener Tage: an einen Gargoyle. Dieses Exemplar jedoch war kein Computer animiertes Leinwandmonster. Es existierte tatsächlich. Und es hatte einen Namen.
Verdrossen blickte Snapper in die Tiefe. Dünne Eisschollen dümpelten auf dem See herum. Dass sie sich bewegten, lag am Spieltrieb der Fische. Sie hatten sich aus dem proteinreichen Gewimmel entwickelt, das mit einem sturmgeknickten Baum vor dreiundsiebzig Jahren in dieses Gewässer gelangt war.
Snapper verlagerte sein Gewicht. Ansonsten rührte er sich nicht, saß nur da und ließ sich zuschneien. Er hatte schlechte Laune. Das lag nicht an der Kälte – sie machte ihm nichts aus, und für den kleinen Hunger zwischendurch lagerten noch ein paar ansehnliche Fleischbrocken zwischen den eisigen Felsen.
Reste einer jungen Taratze, die er neulich in der Dämmerung hinter der Grenze erwischt hatte.
Nein, Snappers düstere Stimmung kam aus dem Herzen: Er war einsam. Er sehnte sich nach Gefährten! Einmal hatte er aus lauter Verzweiflung versucht, einen Gerul zu adoptieren.
Snapper hatte sogar sein Nest auf dem Felsenturm mit Moos und Gräsern ausgestopft, damit es für das piepsende Ding gemütlich war. Als Lohn für diese Mühe hatte er einen kräftigen Biss in die Finger kassiert. Snapper grunzte bei der Erinnerung. Wenigstens waren Gerule essbar.
Die Sehnsucht nach Gefährten quälte ihn schon lange. Aber wo sollte er suchen – und was? Snapper war kein Bonobo mehr. Das Schöpferspiel der Daa'muren hatte auch vor ihm nicht Halt gemacht. Er war verformt, innerlich und äußerlich.
Dabei wussten die Außerirdischen nicht einmal von seiner Existenz. Snapper war in den Dunstkreis eines ihrer frühen Mutationsexperimente geraten, mit dem sie inzwischen ausgestorbene Hochland-Barbaren gentechnisch verändern wollten. Sein Körper hatte auf eine Botschaft reagiert, die nie für ihn bestimmt gewesen war. Die Nanobots hatten nicht eingegriffen, weil diese Wachstumsmanipulation keine Zellschädigung anstrebte. Sie unterstützte vielmehr Snappers Anpassung an den schwierigen Lebensraum.
Manchmal erinnerte er sich noch an Patch, seinen Käfignachbarn von einst. Snapper sah ihn schemenhaft vor sich: ein dunkles zottiges Wesen, genau wie er. Ein Freund!
Ein Gefährte! Er griff nach dem Bild, doch es löste sich auf.
Nichts blieb zurück außer Trauer und Einsamkeit. Snapper warf den Kopf zurück und brüllte seinen Frust heraus.
Das Verderben kam auf lautlosen Schwingen.
Der Eluu war eigentlich auf Taratzenjagd gewesen, aber sein bevorzugtes Futter hatte sich nirgends blicken lassen und die Dämmerung nahm zu. Also war er dem Schrei gefolgt, der von jenseits der Mauer kam und wie eine Einladung zum Nachtmahl klang.
Der eulenartige Riesenvogel war nahezu fünf Meter hoch.
Snapper war selbst nicht eben klein – aufrecht stehend erreichte er eine Höhe von zweieinhalb Metern – doch gegen das fliegende Monster wirkte er wie ein Zwerg. Genau so waren seine Chancen. Zwergenhaft.
Als Snapper das leise Geräusch vernahm, war es schon zu spät.
Hinterrücks wurde er gepackt und von den Felsen gefegt.
Riesige Füße krallten sich um seine Schultern. Sie fassten abwechselnd nach, um ihren Halt zu verbessern. Er kreischte vor Schmerz. Seine Flügel zerknitterten unter den Klauen des Eluu; die langen Knochen darin brachen wie Holz.
Mit flappenden Schwingen zog der Riesenvogel weiter.
Snapper zappelte in seinem Griff. Der Eluu hackte nach ihm.
Blut rann Snappers Nacken entlang und tropfte hinunter in den See. Er achtete nicht darauf. Er wollte diese grausamen Krallen loswerden, die tief in seinem Körper steckten. Eine davon konnte er erreichen. Snapper suchte die Stelle, an der das Horngewebe in Vogelfleisch überging, fletschte die Reißzähne und schnappte zu.
Der Eluu wollte seine Beute auf keinen Fall aufgeben. Er setzte sich energisch zur Wehr. Dabei verlor er zu viel Höhe und musste korrigieren. Unter seinen Füßen glitschte klebriges Blut, und noch immer biss das Beutestück nach ihm.
Schließlich wurde es dem Eluu zu bunt.
Widerwillig öffnete er die Krallen und schwenkte ab. Sein ärgerlicher Pfiff verhallte in der Dämmerung.
Snapper stürzte in den See. Eisiges Wasser schlug hart über ihm zusammen, stach in seine tiefen Wunden und quälte ihn, bis er das Bewusstsein verlor. Sterbend sank er in lichtlose Tiefen. Noch ehe er den Grund erreichte, setzte sein Herzschlag
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