126 - Hinter der Grenze
ziehen. Seine gebrochene Nase wölbte sich bereits wieder. Jed schluckte seinen Ekel hinunter und schlug so kräftig zu, dass er ihm den Schädel spaltete. Der Krieger rutschte ins Wasser und ging unter.
»Rückzug!« Der Krieger ohne Arme stand am Bug seines Schiffs. Er bot einen grotesken Anblick, als er versuchte, mit Händen zu gestikulieren, die er nicht mehr besaß. »Alle Mann zurück!«
Die drei noch lebenden und intakten Krieger fluchten, nahmen aber die Ruder in die Hand. Aruula drehte sich zu Teggar und ließ ihr Schwert sinken.
Jed räusperte sich. »Wir, äh, danken euch für die –«
Er sah die Bewegung noch aus den Augenwinkeln, dann schlug etwas gegen seinen Kopf. Er hörte Aruulas Schrei, spürte, wie seine Beine nachgaben und die Wellen über ihm zusammenschlugen.
Alles wurde schwarz.
»Ihr müsst ihn finden.« Aruula wehrte sich nicht gegen die Krieger, die sie festhielten. Ihr Blick richtete sich auf Teggar.
»Er wird ertrinken, wenn ihr ihn nicht findet.«
Mecloot schüttelte sich den Regen aus den Haaren. Seine Geste umfasste den gesamten aufgewühlten See. »Siehst du ihn hier irgendwo?«, fragte er.
Aruula suchte das Wasser mit Blicken ab, hoffte auf eine Hand, die aus dem Wasser kam, oder einen Schatten unter den Wellen.
Doch es war nichts zu sehen.
»Er ist längst tot.« Teggars Stimme war freundlich. »Seine Kleidung hat ihn nach unten gezogen. Ihm kann der Hüter nicht mehr helfen. Aber dir…« Er lächelte. »Du kannst wie wir werden. Wenn der Hüter sich deiner annimmt, wird es keine Krankheit mehr für dich geben und kein Alter. Du wirst für immer so bleiben, wie du jetzt bist. Das ist das Geschenk des Hüters an all seine Kinder.«
Aruula nahm den Blick nicht vom See.
Teggar wartete einen Moment, dann nickte er den Ruderern zu. »Wir fahren weiter zum Felsenturm. Dort wird das Ritual beginnen.«
Mecloot deutete auf die beiden Schiffe, die das Dorf fast erreicht hatten. »Und was ist mit denen?«
»Später. Die anderen werden sie aufhalten.«
Das Boot wendete und fuhr dem Felsenturm entgegen.
Aruula sah zurück zu ihrem eigenen Boot, das sich langsam mit Wasser füllte und versank.
Sie wandte den Blick ab.
***
Frühjahr 2112
Tick-Tack-Tick, ging es irgendwo auf steinigem Grund.
Snapper erwachte und rollte sich herum. Misstrauisch blickte er über den Rand der Felsen in die Tiefe. Ein… Ding kam auf langen dünnen Beinen angetickert. Es war braun und lang gestreckt, etwas größer als er. Aus dem Rücken wuchsen Flügelstummel, und es besaß zwei unentwegt wackelnde Fühler. Snapper hatte so ein Ding noch nie gesehen. Dennoch sprach es ihn an: Es machte Appetit!
Er schaukelte erregt hin und her, während sein Gehirn eine Leistung vollbrachte, zu der es früher nicht fähig gewesen war: Snapper wusste plötzlich, dass das Ding schmecken würde – und er wusste, was es war.
Ameise, sagte sein Verstand, obwohl das Gedächtnis Bilder produzierte, die nicht dazu passten. Snapper erinnerte sich an seine Jagd auf den krabbelnden Besucher in Professor Wingfields Labor. Die Ameise von damals war ein winziger Happen gewesen – doch was da unterhalb des Felsenturms herumlief, würde eine reiche, gute Mahlzeit abgeben!
Snapper zog den Kopf zurück. Ein kurzer Prüfblick in die Runde, dann schwang er sich über den jenseitigen Nestrand.
Seine vormals weichen, haarlosen Fußsohlen waren inzwischen mit einer Schicht aus Hornpickeln bedeckt, das ermöglichte einen sicheren Halt auf glattem Stein.
Snapper kannte den Weg im Schlaf. Nahezu lautlos turnte er in die Tiefe, immer außer Sicht der mutierten Ameise. Nur seine Fingernägel, zu stahlharten Krallen verwachsen, klickten gelegentlich beim Griff nach einem Felsvorsprung.
Es war merklich wärmer geworden im Laufe der zweiundfünfzig Jahre, die seit Snappers Befreiung aus dem Steingefängnis vergangen waren. Die Welt hatte sich verändert – und Snapper mit ihr. Er war enorm gewachsen und erreichte stehend eine Höhe von einem Meter achtzig. Sein schwarzes Schimpansenfell war der Strahlung zum Opfer gefallen, die Haut hatte sich verfärbt und war dick geworden wie Leder. Seit Neuestem konnte Snapper auch nicht mehr auf dem Rücken liegen. Seine Schulterblätter stachen heraus wie aufgesetzte Kegel.
Tick-Tick-Tick.
Snapper lauschte, um den Standort der Riesenameise zu bestimmen. Sie war dabei, die Felsen zu umrunden. Gleich würde sie auftauchen! Er wischte sich mit dem Unterarm die Spucke weg, dann griff er nach
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