1283 - Der Mörder-Mönch
sie nicht schaffte. Nahezu magisch wurde er von der Kapuze mit der hohen Spitze angezogen, denn im Stoff befanden sich zwei Schlitze, durch die die Gestalt schaute.
Er ging einen Schritt auf Esmeralda zu, dann noch einen, und die Angst in der Nonne wurde noch stärker. Sie konnte sich gegen ihn nicht wehren, das war ihr klar. Vielleicht schaffte sie es durch ein Flehen oder durch ein Gebet, aber auch hier fielen ihr nicht die richtigen Worte ein. Worauf sie immer vertraut hatte, das war jetzt wie fortgescheucht. Sie hatte nichts mehr, auf das sie sich verlassen konnte.
»Jetzt gehörst du uns!«
Die Frau erstarrte noch mehr, als sie die Stimme vernahm. Sie wollte es nicht glauben. Sie wehrte sich dagegen und schüttelte den Kopf.
»Du weigerst dich?«
»Bitte, ich… ich …« Ihre Stimme versagte. Der Anblick der Gestalt flößte ihr einen immer größer werdenden Schrecken ein.
Plötzlich fiel ihr der Einbrecher wieder ein, der unten in der Bibliothek das Buch gestohlen hatte. Sein Inhalt beschäftigte sich mit der Geschichte des Roten Mönchs. Der Diebstahl lag noch nicht lange zurück, und Esmeralda konnte es nicht fassen, dass der Rote Mönch schon nach so kurzer Zeit als lebender Beweis vor ihr stand. Das passte nicht in ihre Welt hinein. Dafür gab es auch keine Erklärung.
Der Mönch trat noch einen Schritt näher. Er brachte einen Geruch mit, der Esmeralda störte. Feuchte Erde und verfaultes Laub schienen sich zusammengemischt zu haben, um diesen widerlichen Gestank abzusondern. So konnten auch Leichen riechen, wenn man sie zu lange liegen ließ.
»Geh! Geh weg! Fort von mir! Weiche endlich!« Zuerst hatte die Nonne leise gesprochen, aber das konnte sie nicht durchhalten. Sie musste einfach schreien, es musste aus ihr heraus, und sie wollte auch nicht mehr sitzen bleiben.
Mit einer schnellen Bewegung sprang sie auf. Sie war von einem Energiestoß getroffen worden und konnte sich so bewegen wie immer. Verschwunden war die Starre. Sie hatte die Angst überwunden, und sie dachte nur noch an Flucht.
Die Tür hatte der Eindringling nicht geschlossen. Es war eigentlich leicht, sie zu erreichen. Es musste ihr nur gelingen, die verfluchte Gestalt aus dem Weg zu räumen.
Sie stieß einen Schrei aus und rannte los. Sie wollte den Mönch aus dem Weg räumen und somit freie Bahn bekommen.
Er blieb stehen. Aber er bewegte seine rechte Hand. Und das passierte so schnell, dass die Nonne keine Chance zum Ausweichen erhielt. Sie befand sich mitten in der Bewegung, als die Peitsche plötzlich auf sie zuhuschte. Da schien sich eine Schlange durch die Luft zu winden, und einen Moment später hatte die Schlange sie erreicht.
Zuerst kam es ihr vor, als würde die Peitsche nur gegen ihren Hals tippen und sich dann zurückziehen.
Es war ein Trugschluss, denn einen Moment später wickelte sie sich mit rasender Geschwindigkeit um ihren Hals und hakte sich dort fest.
Sofort wurde ihr die Luft knapp. Dann der Ruck. Sie konnte sich nicht mehr halten. Der Rote Mönch zog Esmeralda auf sich zu, die mehr stolperte als ging und sich damit abfand, dass sie aus dieser tödlichen Falle nicht herauskam.
Es war ihr nicht mehr möglich, zu atmen. Trotzdem hatte sie den Mund aufgerissen, aus dem nur noch ein Röcheln drang.
Bevor die Schatten des Todes sie einholten, gelang ihr noch ein letzter Blick auf die Tür. Dort stand Anna wie ein Statue! Sie sah alles, sie tat nichts, sie… Abbruch. Vor ihren Augen explodierte die Welt, und genau das war der Übergang vom Leben in den Tod.
Der Rote Mönch hatte sein erstes Opfer gefunden!
***
Auch Shao und Suko hatten mir keine guten Ratschläge erteilen können. Ich war zumindest froh, mit ihnen geredet zu haben, und Suko war ebenfalls der Meinung gewesen, dass sich da einiges zusammenbraute, denn ein Vincent van Akkeren würde etwas unternehmen und sich nicht allein mit dem Zuschauen begnügen.
»Ob Godwin de Salier denn mehr weiß?«, fragte Shao und drehte ihre Teetasse auf dem Unterteller.
»Das weiß ich nicht. Jedenfalls ist er aus dem Kloster in Alet-les-Bains abgereist.«
»Wobei er sein Ziel nicht genannt hat.«
»Eben, Shao, das macht mich misstrauisch. Ich kenne doch Godwin. Ich weiß, dass er zu van Akkeren steht wie das Feuer zum Wasser. Es hat ihn damals wahnsinnig aufgeregt, dass es dem Grusel-Star gelungen ist, zu verschwinden. Darüber konnte ihm auch der Fund der Knochen nicht hinweghelfen. Er hat immer stark darunter gelitten, und jetzt ist van Akkeren wieder
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