13 - Im Schatten des Grossherrn 02 - Durchs wilde Kurdistan
Einer von euch hat ihn herausgelassen!“
„Ich schwöre bei Allah, daß wir diese Tür nicht geöffnet haben!“ versicherte zitternd der Sergeant.
„Mutesselim“, nahm ich jetzt das Wort, „diese Leute haben keinen Torschlüssel gehabt. Wenn einer von ihnen den Gefangenen herausgelassen hätte, so müßte er noch im Hause sein.“
„Du hast recht; ich habe ja alle beide Schlüssel“, meinte er. „Wir werden alles durchsuchen.“
„Und schicke auch auf die Wache, um die Mauern der Stadt und die Klippen zu untersuchen. Wenn er die Stadt verlassen hat, so ist es sicher nicht durch eines der Tore, sondern über die Mauer weg geschehen, und dann glaube ich bestimmt, daß eine Spur von ihm gefunden wird. Seine Kleidung ist in diesem Loch so verschimmelt und vermodert, daß sie den Weg über die Felsen gewiß nicht ausgehalten hat.“
„Ja“, gebot er einem der Arnauten, „laufe eilig zur Wache und bringe meinen Befehl, daß die ganze Stadt durchsucht werde.“
Es begann jetzt ein sehr sorgfältiges Durchsuchen des Gefängnisses, welches wohl eine ganze Stunde dauerte. Natürlich aber wurde nicht die geringste Spur von dem Entflohenen entdeckt. Eben wollten wir das Gefängnis verlassen, als zwei Arnauten erschienen, welche mehrere Kleiderfetzen trugen.
„Wir fanden diese Stücke draußen über dem Abgrund hängen“, meldete der eine.
Der Agha nahm das Zeug in die Hand und prüfte es.
„Effendi, das ist von dem Überkleid des Gefangenen“, berichtete er dem Mutesselim. „Ich kenne es genau!“
„Bist du dessen sicher?“
„So sicher wie meines Bartes.“
„So ist er dennoch aus diesem Haus entkommen!“
„Aber wohl in den Abgrund gestürzt“, fügte ich hinzu.
„Laßt uns gehen und nachsehen!“ gebot er.
Wir verließen das Gefängnis und kamen an den Ort, an welchem ich das Gewand zerrissen und verteilt hatte. Ich wunderte mich jetzt am Tage, daß ich nicht während der nächtlichen Dunkelheit hinab in den Schlund gestürzt war. Der Mutesselim besah sich das Terrain.
„Er ist hinuntergestürzt und sicher tot. Von da unten ist kein Auferstehen! Aber wann ist er entkommen?“
Diese Frage blieb natürlich unbeantwortet, so sehr sich der Kommandant während einiger Stunden auch Mühe gab, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Er wütete und tobte gegen einen jeden, der ihm nahe kam, und so war es kein Wunder, wenn ich seine Nähe mied. Die Zeit wurde mir trotzdem nicht lang, denn ich hatte genug zu tun. Zunächst wurde ein Pferd für Amad el Ghandur eingekauft, und dann ging ich zu meiner Patientin, die ich bis jetzt vernachlässigt hatte.
Vor der Tür des Hauses stand ein gesatteltes Maultier; es war für ein Frauenzimmer bestimmt. Im Vordergemach stand der Vater, welcher mich mit Freuden bewillkommnete.
Ich fand die Kranke aufrecht sitzend; ihre Wangen waren bereits wieder leicht gerötet und ihre Augen frei von allen Spuren des Unfalls. An ihrem Lager standen die Mutter und die Urahne. Diese letztere befand sich in Reisekleidern. Sie hatte über ihr weißes Gewand einen schwarzen, mantelähnlichen Umhang geschlagen und auf ihrem Kopf war ein ebenfalls schwarzer Schleier befestigt, welcher jetzt über den Rücken hinabhing. Das Mädchen reichte mir sofort die Hand entgegen.
„Oh, ich danke dir, Effendi, denn nun ist es sicher, daß ich nicht sterben werde!“
„Ja, sie wird leben“, sagte die Alte. „Du bist das Werkzeug Gottes und der heiligen Jungfrau gewesen, mir ein Leben zu erhalten, welches mir teurer ist als alles auf Erden. Reichtümer darf ich dir nicht bieten, denn du bist ein großer Emir, der da alles hat, was er braucht; aber sage mir, wie ich dir danken soll, Effendi!“
„Danke Gott anstatt mir, dann kommt dein Dank an die rechte Stelle; denn er ist es gewesen, der dein Enkelkind gerettet hat!“
„Ich werde es tun und auch für dich beten, Herr, und das Gebet eines Weibes, welches bereits nicht mehr der Erde angehört, wird Gott erhören. Wie lange bleibst du in Amadijah?“
„Nicht lange mehr.“
„Und wohin gehst du?“
„Das soll niemand wissen, denn es wird vielleicht Gründe geben, es zu verschweigen. Euch aber kann ich sagen, daß ich nach Sonnenaufgang reiten werde.“
„So gehst du nach derselben Gegend, nach welcher auch ich abreise, Herr. Mein Tier wartet meiner bereits vor dem Haus. Vielleicht sehen wir uns niemals wieder; dann nimm den Segen einer alten Frau, die dir nichts weiter geben darf, aber auch nichts Besseres geben kann! Aber
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