13 - Im Schatten des Grossherrn 02 - Durchs wilde Kurdistan
hatte.
„Halt, du bleibst!“ gebot er mir und gab zugleich einen Wink, auf welchen mehrere bewaffnete Arnauten herbeitraten. „Du bist mein Gefangener!“
Der gute Selim erschrak. Er starrte erst den Mutesselim und dann mich an.
„Dein Gefangener?“ fragte ich. „Du scherzest!“
„Es ist mein voller Ernst!“
„So bist du über Nacht verrückt geworden! Wie kannst du glauben, daß du der Mann seist, der mich gefangennehmen kann!“
„Du bist ja schon gefangen und wirst nicht eher wieder frei kommen, als bis ich den Entflohenen entdeckt habe.“
„Mutesselim, ich glaube nicht, daß du ihn entdecken wirst!“
„Warum?“
„Dazu gehört ein Mann, welcher Mut und Klugheit besitzt, und mit diesen beiden Eigenschaften hat dich Allah in seiner Weisheit verschont.“
„Du willst mich verhöhnen? Siehe zu, wie weit du mit deiner eigenen Klugheit kommst! Legt die Tür an und schiebt die Riegel vor!“
Jetzt zog ich eine der Pistolen.
„Laßt die Tür liegen, das rate ich euch!“
Die braven Arnauten blieben sehr verlegen stehen.
„Greift zu, ihr Hunde!“ gebot er drohend.
„Laßt euch nicht erschießen, ihr Leute!“ sagte ich, indem ich die Hähne spannte.
„Wage es zu schießen!“ rief der Mutesselim.
„Wagen? O, Mutesselim, das ist ja kein Wagnis. Mit diesen Leuten werde ich ganz gut auskommen, und du bist der erste, den meine Kugel trifft!“
Die Wirkung war eigentümlich, denn der kühne Held von Amadijah verschwand sofort von der Türöffnung. Aber seine Stimme ertönte:
„Schließt ihn ein, ihr Schurken!“
„Tut es nicht, ihr Männer, denn ich werde den, der diese Tür zu schließen wagt, ganz sicher in die Dschehennah schicken!“
„So schießt ihr wieder!“ ertönte es von der Seite her.
„Mutesselim, vergiß nicht, wer ich bin! Eine Verletzung meiner Person würde dich deinen Kopf kosten.“
„Wollt ihr gehorchen, ihr Buben! Oder soll ich es sein, der euch erschießt? Selim Agha, greif zu!“
Der Neffe des Schwagers von der Schwester des Enkelsohnes der Mutter von der Stiefschwester der ‚Myrte‘ war dem Beispiel seines Vorgesetzten gefolgt und hatte sich in der Entfernung an die Mauer gedrückt. Er befand sich jetzt gewiß in sehr großer Verlegenheit, aus der ich ihn erretten mußte.
„Tretet ein wenig zurück, ihr Männer, denn jetzt geht es los!“
Ich richtete die Mündung der Waffe auf sie und bekam die Öffnung frei. Nach einer schnellen Kraftanstrengung stand ich oben vor dem Kommandanten, dem ich die Pistole unter die Nase hielt.
„Mutesselim, ich habe da unten keine Spur gefunden!“
„Alla illa Allah! Emir, tu diese Waffe weg!“
Daß er selbst ein solches Schießding, mit dem er sich ja wehren konnte, im Gürtel trug, schien ihm gar nicht einzufallen.
„Sie kommt erst dann zurück an ihre Stelle, wenn diese Wächter zurückgekehrt sind nach oben. Selim Agha, schaffe sie fort!“
Diesem Befehl leistete der Agha augenblicklich Folge:
„Packt euch, und laßt euch nicht wieder sehen!“
Sie retirierten schleunigst die Treppe empor.
„So, jetzt stecke ich die Waffe ein. O, Mutesselim, in welche Schande hast du dich gebracht! Deine List ist nicht gelungen, deine Gewalt hat nichts genützt; und nun stehst du da wie ein Fakara günakiar (Armer Sünder), der um Gnade bitten muß. Warum wolltest du mich einschließen lassen?“
„Weil ich bei dir haussuchen muß.“
„Darf ich nicht dabei sein?“
„Du hättest dich gewehrt.“
„Ah, du hast also Respekt vor mir? Das höre ich gern! Und du meinst, daß die andern sich nicht gewehrt hätten?“
„Du bist der schlimmste, sie aber hätten wir nicht gefürchtet.“
„Du irrst, Mutesselim. Ich bin der gütigste von ihnen allen. Mein Hadschi Halef Omar ist ein Held; der Hadschi Lindsay-Bey ist ein Wüterich, und der dritte, den du noch nicht gesehen hast, der übertrifft noch beide. Du wärest nur tot von ihnen weggekommen! Wie lange aber glaubst du, daß ich mich hier in diesem Loch befunden hätte?“
„So lange es mir beliebte!“
„Meinst du? Sieh diese Waffen und diesen Beutel mit Kugeln und Patronen! Ich hätte die Riegel oder die Angeln aus der Tür geschossen und in zwei Minuten da gestanden, wo ich jetzt stehe. Und bereits bei dem ersten Schuß hätten meine Leute gewußt, daß ich in Gefahr war. Sie wären herbeigeeilt, um mir zu helfen.“
„Sie hätten nicht herein gekonnt.“
„Eine Büchsenkugel öffnet dein altes Schloß ganz leicht. Komm her, ich will dir etwas
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