13 - Im Schatten des Grossherrn 02 - Durchs wilde Kurdistan
Dasselbe schien der mächtige Krater eines Vulkans zu sein, in dessen Grunde riesige Flammen loderten, zwischen denen Tausende von Geistern mit Leuchten und Lichtern irrten. Ein mehrtausendstimmiger Ruf hieß uns willkommen und in der Zeit einiger Sekunden hatten sich sämtliche Lichter zu beiden Seiten der Talsohle geordnet. Der große, weite Kessel war förmlich tageshell erleuchtet. Das größte Licht aber verbreiteten zwei gigantische Feuer, deren Flammen, von riesigen Scheiterhaufen genährt, zu beiden Seiten der Felsenpyramide an der nackten Wand des Tals emporkletterten. Es überkam mich jenes ‚süße Grauen‘, welches, wohltuend und niederbeugend zu gleicher Zeit, das Menschenherz ergreift, sobald etwas Erhabenes hereingreift in die Grenzen unserer kleinen inneren Welt.
Wir zogen den Abhang hinunter, zwischen dem wallenden Meere der Fackeln hindurch, und hielten vor dem Denkmal. In der sonnenförmigen Aushöhlung desselben standen zwei Priester, deren weiße Gewänder von dem dunkeln Gestein lebhaft abstachen. Hoch oben hatten sich mehrere Männer postiert, welche die Seile hielten, an denen die Urne emporgezogen werden sollte.
Sobald die Maultiere vor der Pyramide anlangten, verstummten die Schüsse. Es trat eine tiefe Stille ein. Die Urne wurde abgeladen und an die Seile befestigt. Ein anderes Seil, unten an die Urne gebunden, diente dazu, das zerbrechliche Gefäß von den Steinen abzuhalten. Der Mir Scheik Khan winkte, und die Seile wurden angezogen. Die Urne schwebte höher und höher und erreichte die Sonne. Die Priester griffen zu und zogen sie hinein. Sie wurde von ihnen aufgestellt, und dann hingen sie sich selbst an die Seile, um herabgelassen zu werden.
Nun gab der Khan das Zeichen, daß er sprechen wolle. Er hielt eine kurze Rede. Seine langsam, deutlich und sehr laut gesprochenen Worte klangen über das ganze Tal dahin, und obgleich ich die wenigsten derselben verstand, fühlte ich mich doch unter dem Eindruck des außergewöhnlichen Vorganges tief ergriffen. Als er geendet hatte, begann der Chor der Priester einen freudigen Gesang, von welchem ich nur den Refrain der einzelnen Teile verstehen konnte: „Ro dehele – die Sonne geht auf.“ Bei dem letzten Ton erhoben alle die Hände, und da krachte aus allen Gewehren eine Salve, wie ich eine solche noch nie gehört hatte.
Damit war die eigentliche Feierlichkeit beendet. Nun aber begann sich das Leben erst zu regen. Es gibt nichts, womit ich diese Nacht im Tal Idiz vergleichen könnte, diese Nacht der Flammen und Fackeln zwischen himmelanstrebenden Felsen, diese Nacht der Fragen und Klagen unter den Verachteten und Geschmähten, diese Nacht unter den Bekennern einer Anbetungsform, deren Grundzug in der irregeleiteten und daher unbefriedigten Sehnsucht nach jenem Licht besteht, das einst den drei Scheiks leuchtete, die, vielleicht aus dem nämlichen Lande, in dem ich mich jetzt befand, nach Bethlehem pilgerten, um vor der Krippe das Bekenntnis abzulegen: „Wir haben im Morgenland seinen Stern gesehen und sind gekommen, ihn anzubeten.“
Ich saß bei den Priestern bis lange nach Mitternacht; dann erloschen die Fackeln, und die Feuer fielen zusammen. Nur die beiden Flammen am Denkmale brannten noch, als ich mich unter einem Baume in meinen Burnus wickelte, um den Schlaf zu suchen. Da oben stand die Urne mit den Gebeinen des ‚Heiligen‘. Dieser ‚Merdes-Scheïtan‘ war der Unterrichtetste unter allen seiner Glaubensgenossen, und dennoch hatte er den rechten Weg zur Wahrheit nicht finden können.
Wie glücklich sind jene zu preisen, deren Wiege bereits an diesem Wege steht, und doch wie schwer wird es ihnen oft, dieses Glück zu erkennen und zu schätzen! Ich schloß die Augen, und es gelang mir endlich, einzuschlafen; aber ich träumte von Fackelzügen und Salven, von Scheiterhaufen und Urnen, aus denen Gerippe stiegen, die mich, den Christen, mit Grinsen umtanzten. Sie wollten mich ergreifen; da aber erschien der Pir Kamek, wehrte sie von mir ab und sagte:
„Er hat ein heiliges Kitab, darinnen geschrieben steht: ‚Oghuldschikler, sizi oranizde sewyn-iz – Kindlein, liebet euch untereinander!‘“ – – –
ZWEITES KAPITEL
Dojan
„Prester Johann, von Gottes und unsere Herrn Jesu Christi Gnaden König der Könige, an Alexios Komnenos, Statthalter zu Konstantinopel. Gesundheit und glückliches Ende.
Unsere Majestät hat in Erfahrung gebracht, daß du von unserer Herrlichkeit gehört hast und daß dir über unsere Größe
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