Der Himmel über der Heide (German Edition)
[zur Inhaltsübersicht]
1
Das grelle Licht des Nachmittags blendete Kati. Sie rauschte in ihrem alten Golf über die Elbbrücken Richtung Süden, klappte die Sonnenblende nach unten und drückte weiter aufs Gaspedal, obwohl sie hier nur 80 Kilometer pro Stunde fahren durfte. Ein silberfarbener Mercedes kroch auf der linken Spur. Sie überholte rechts.
Ihr Herz raste, und die Sorge um ihren Vater schnürte ihr die Kehle zu. Noch nie hatte sie es so eilig gehabt, in ihre alte Heimat, die Lüneburger Heide, zu kommen. Die Stimme der Großmutter am Telefon hatte sofort verraten, dass etwas wirklich Schlimmes passiert sein musste. Noch immer kreisten die Worte in ihrem Kopf: Zusammenbruch … Krankenhaus … Intensivstation … Koma …
Kati wischte sich eine Träne aus dem Gesicht. Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich. Niemandem wäre geholfen, wenn sie sich jetzt in die Rolle eines kleinen Mädchens hineinsteigern würde. Sicher war ihr Vater schon wieder bei Bewusstsein, wenn sie gleich im Krankenhaus ankäme. Sie versuchte, sich selbst Mut zu machen. Wie schlimm konnte ein Magendurchbruch sein? Schwebte ihr Vater wirklich in Lebensgefahr? Vielleicht hatte Elli in ihrer Angst übertrieben. Vielleicht war alles halb so schlimm. Die Großmutter sorgte sich verständlicherweise um ihren Sohn, aber wahrscheinlich hatte sie die Ärzte nicht richtig verstanden. Ein Magendurchbruch war schließlich kein Herzinfarkt, oder? Je schneller ein Patient versorgt wurde, desto größer war doch die Chance einer vollständigen Genesung.
Kati dachte an ihren Heimatort. Uhlendorf lag abseits der großen Verbindungsstraßen, und es musste eine halbe Ewigkeit gedauert haben, bis der Krankenwagen den langen Weg von Soltau aus geschafft hatte. Schließlich lag Uhlendorf inmitten des Naturschutzgebietes. Doch immerhin war die Großmutter sofort zur Stelle gewesen, als Katis Vater in der Küche des Landgasthofs unter Schmerzen zusammengebrochen war und beinahe das Bewusstsein verloren hatte. Sie hatte angeblich sofort den Notdienst gerufen. Kati malte sich aus, wie ihre Großmutter außer sich vor Sorge am Telefon um Hilfe gefleht hatte. Das Warten musste schlimm gewesen sein. Oder hatte es der Notarzt doch viel schneller geschafft?
Kati fiel ein, dass vor ein paar Jahren eine Rettungswache im Nachbardorf eingerichtet worden war. Der Notarzt wird also rechtzeitig da gewesen sein, mutmaßte sie. Sicher wussten auch die Ärzte im Krankenhaus genau, was sie taten.
Als Kati an diesem drückenden Julinachmittag endlich von der Autobahn abfuhr und auf die Hauptstraße nach Soltau einbog, die früher auch ihr Schulweg gewesen war, wurde sie etwas ruhiger. Irgendwie schien ihr die vertraute Heimat ein wenig Trost und Zuversicht zu spenden.
Eine Viertelstunde später erreichte sie den Parkplatz des Krankenhauses. Kati stieg aus, orientierte sich kurz und ging dann schnellen Schritts auf den Haupteingang zu.
Eine sympathisch aussehende Frau an der Informationstheke lächelte sie an und erklärte ihr den Weg zur Intensivstation. Kati hatte nicht die Ruhe, auf den Aufzug zu warten. Sie lief die Treppen hinauf bis in den ersten Stock und bog in den langen Flur der Intensivstation. Schon von weitem sah sie den weißen Haarschopf ihrer Großmutter. Neben Elli entdeckte Kati auch den rötlichen von ihrer Stiefmutter. Beide Frauen saßen angespannt auf den Wartestühlen und blickten, als sie Schritte hörten, gleichzeitig in Katis Richtung. Während Dorothee sitzen blieb, erhob sich Elli sofort und ging ihrer Enkelin ein Stück entgegen. Kati warf sich in ihre Arme und fragte: «Wie geht es ihm? Ist er wach?»
Mit sorgenvollem Blick nahm Elli das Gesicht ihrer Enkeltochter zwischen beide Hände und sprach beruhigend auf sie ein: «Es wird sicher alles wieder gut, mein Liebes.»
Kati glaubte ihrer Großmutter kein Wort. Ungeduldig wechselte sie einen besorgten Blick mit Dorothee. «Was sagen die Ärzte?»
Dorothee hatte ihre rotblonden Haare zu einem Zopf geflochten. Ihre grünen Augen sahen so aus, als hätte sie geweint. Sie bemühte sich um ein Lächeln und sagte: «Dr. Steindamm ist gerade bei ihm. Wir müssen die Untersuchungsergebnisse abwarten.»
Normalerweise hatte ihre Stimme einen leicht überheblichen Klang, den Kati nicht ausstehen konnte, weil es sich zu sehr nach Dozieren anhörte. Doch heute war es anders. Der nüchterne Ton ihrer Stiefmutter hatte seltsamerweise etwas Beruhigendes.
Kati nickte und ließ sich auf einen der
Weitere Kostenlose Bücher