1314 - Horchposten Pinwheel
dem Planeten noch mehr Kartanin sein sollten, werden sie uns jedenfalls nicht überraschen."
Poerl Alcoun ließ den Paratau-Tropfen wieder im Behälter verschwinden. Sie benötigte ihn vorläufig nicht, und sie war froh darüber. Sie stand Dao-Lin-H'ay nicht nur mit einer gewissen Hochachtung gegenüber, sondern empfand auch eine eigenartige Scheu vor ihr, die sie sich nicht erklären konnte.
Ihr kam es vor, als sei es Unrecht, die Protektorin zu belauschen, Dao-Lin-H'ay konnte sich nicht dagegen wehren, daß sie in ihre geheimsten Gedanken vordringen würde. Oder doch?
*
Seit mehr als dreißig Stunden verhörte Wido Helfrich die kartanische Besatzung der SANAA, und er hatte sich nur zweimal ablösen lassen, um eine kurze Schlafpause einlegen zu können.
Die Kartanin hatten keine Pause gehabt, dennoch wirkten sie alle frischer als Helfrich.
Sie schienen keine Ermüdung zu kennen. Sie blickten Helfrich zumeist gleichgültig an und gaben nur selten Antwort auf seine Fragen. Oft schien es, als hätten sie ihn gar nicht gehört.
„Was sollen diese ständigen Fragen?" beschwerte sich schließlich ein hochgewachsener, schlanker Kartane, an dem der besonders dichte Schnurrbart auffiel.
Er sprach langsam und stockend, als müsse er sich jedes Wort genau überlegen. Häufig fuhr er sich mit dem Handrücken über den Schnurrbart, und dann blickte er wie verloren auf den Boden, als müsse er über ein Problem nachdenken, das er nicht in den Griff bekommen konnte. Seine Art verriet Unsicherheit, jedoch nicht anderen, sondern sich selbst gegenüber. Er schien jede seiner Entscheidungen in Zweifel zu stellen und jede seiner Formulierungen kritisch zu betrachten. Er schien ständig auf der Suche nach einer noch besseren und präziseren Aussage zu sein, wenn er überhaupt einmal etwas sagte, und es schien ihn unangenehm zu berühren, wenn Wido Helfrich nicht exakt sagte, was er wollte. „Wir können sie nicht beantworten."
„Ihr wollt sie nicht beantworten", korrigierte Wido Helfrich erschöpft.
Er befand sich zusammen mit zwanzig bewaffneten Männern von der KARRACKE WAGEID in der Messe der SANAA. Insgesamt 38 Kartanin gehörten zur Besatzung des Raumschiffs. Sie standen in der Mitte der Messe. Ausnahmslos alle hatten es abgelehnt, sich zu setzen, und als Wido Helfrich sie nun erneut bat, Platz zu nehmen, machte keine von diesem Angebot Gebrauch. Sie zeigten keine körperliche Schwäche, und sie waren stolz auf ihre Disziplin.
„Also noch einmal", sagte Wido Helfrich, nachdem er sich etwas Wasser aus einem Automaten geholt hatte. „Die Kartanin sind in die Mächtigkeitsballung ESTARTU gekommen, um dort möglichst viele Welten zu besiedeln."
„ESTARTU ist für uns Lao-Sinh", warf der Kartane, der als Sprecher der Crew fungierte, ein.
„Also gut. Die Kartanin sind ausgezogen, um Planeten in der Mächtigkeitsballung Lao-Sinh zu besiedeln. Richtig?"
„Richtig."
„Wozu?"
„Um die Welten zu erschließen. Um auf ihnen zu leben."
„Das kann nicht alles sein. Es muß einen Grund dafür geben, daß die Kartanin sich ausgerechnet den Virgo-Haufen ausgesucht haben, der immerhin 40 Millionen Lichtjahre entfernt liegt."
„Die Hohen Frauen haben sich für dieses Gebiet entschieden."
Wido Helfrich stöhnte gequält.
„Ja, ja, ich habe begriffen. Die Hohen Frauen haben die Entscheidung getroffen. Aber warum haben sie das getan? Es muß einen Grund dafür geben, daß sie dieses Gebiet ausgesucht haben. Sie hätten zahllose Wahlmöglichkeiten gehabt. Die Kartanin hätten es unendlich viel leichter haben können. Warum ausgerechnet diese Kolonisationsbestrebungen in der Mächtigkeitsballung Lao-Sinh?"
Der Kartane fuhr sich mit dem Handrücken über den Schnurrbart.
„Ich habe dir schon mehrfach gesagt, daß ich dir gern helfen würde", erklärte er. „Ich würde dir gern eine erschöpfende Antwort auf deine Frage nach dem Warum geben, aber ich kann es nicht, weil es keinen besonderen Grund gibt. Wir Kartanin wollen in Lao-Sinh Siedlerwelten erschließen, um auf ihnen Stützpunkte unserer Kultur und Zivilisation zu errichten. Das ist alles. Es gibt kein Geheimnis, das ich dir enthüllen könnte."
„Dann sind wir wieder an dem gleichen Punkt, an dem wir uns seit nunmehr dreißig Stunden herumquälen, ohne auch nur einen Schritt weiterzukommen. Wie lange willst du noch bei deiner ebenso durchsichtigen wie törichten Behauptung bleiben?"
„Ich werde nicht davon abweichen, weil es die Wahrheit ist. Von mir
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