1328 - Die Lust und der Tod
Ausstellungen zu bieten. Da ist wirklich für jeden Geschmack etwas zu besichtigen.«
»Auch jetzt?«
»Ja. Das fand ich im Internet: Im Moment läuft eine Ausstellung, die unter dem Motto ›Die Metaphysik in der Kunst‹ steht.«
»Hört sich hochwissenschaftlich an.«
»Oder populär.«
Die beiden Männer waren wieder in ihren Wagen gestiegen und verließen das Gelände. Ich bewegte mich beim Telefonieren und ging um den Rover herum. »Kannst du dir denn vorstellen, Jane, dass diese Ausstellung und der seltsame Kontakt, den ich gehabt habe, in einem Zusammenhang stehen?«
»Das weiß ich nicht. Ich habe die Ausstellung leider noch nicht gesehen. Sie wäre allerdings interessant.«
»Das meine ich auch. Man sollte sie sich vielleicht mal näher ansehen und auch mit dieser Beatrice Hunt Kontakt aufnehmen.«
»Daran habe ich auch gedacht.«
»Heute wird es zu spät werden. Es dauert noch eine Weile, bis ich in London bin.«
»Du könntest trotzdem vorbeikommen.«
»Das werde ich auch machen.«
»Gut, dann bring etwas Hunger mit. Wir können gemeinsam essen.«
»Bei der Hitze?«
»Der Mensch braucht immer was.«
»Überredet.«
Ich steckte das Handy wieder weg und strich an meiner Stirn entlang. Die Sonne war etwas tiefer gesunken, aber sie gab noch längst nicht auf. Sie wollte beweisen, welch eine Kraft in ihr steckte, und das schaffte sie mit Bravour. Ich stieg wieder in meine Brutschleuder, wollte starten und war mit meinen Gedanken bereits in London und bei Jane Collins, als es urplötzlich passierte.
Was es genau war, wusste ich nicht, aber ich sah es durch die Luft fliegen. Es huschte an der linken Seite des Rovers entlang und flog gestreckt geradeaus.
Meine Hand berührte den Zündschlüssel erst gar nicht. Vor Staunen standen mir die Augen weit offen, denn vor mir flog kein Vogel durch die Luft, wie ich zuerst angenommen hatte, sondern eine Schattengestalt mit menschlichen Umrissen…
***
Also doch. Es gab den Verfolger. Dessen war ich mir plötzlich sicher. Aber er war kein Mensch, höchstens ein menschenähnliches Wesen, das mir zugleich vorkam wie ein Schatten, der körperlos war und nur den Umriss an sich besaß.
Er war in Höhe der Seitenscheibe vorbeigehuscht, und ich rechnete damit, dass er verschwinden würde, aber daran dachte dieser ungewöhnliche Flieger nicht.
Er flog bis an das Ende des kleinen Parkplatzes, drehte dort und nahm den selben Weg zurück. Dabei machte es ihm nichts aus, dass ich ihn sah. Er huschte auf den Rover zu, war aber nicht so schnell, als dass ich ihn nicht genau hätte beschreiben können.
Ich war sicher, eine nackte Gestalt vor mir zu haben, aber keine männliche, sondern eine weibliche mit dunklen Haaren, die sich im Flugwind bewegten. Wenn die Gestalt so weiterflog, würde sie bald gegen die Frontscheibe des Rovers prallen, falls sie überhaupt feinstofflich war, aber das war sie wohl nicht, obwohl sie so aussah, denn die nackte Frau veränderte ihr Flugverhalten und suchte sich einen Landeplatz aus.
Es war die Kühlerhaube meines Autos!
Fasziniert schaute ich zu, während sich auf meinem Rücken eine leichte Gänsehaut bildete. Es war kaum zu fassen, wie sie zuerst ein Stück in die Höhe schwang und danach langsam nach unten sank, bis sie auf der Kühlerhaube kniete.
Beide schauten wir uns an. Nur durch die Scheibe getrennt, die leider verschmutzt und verklebt war, weil der Fahrtwind Mücken und andere Insekten dagegen getrieben hatte. Sie klebten als dunkle oder blutige Flecken auf dem Glas.
Keiner von uns tat etwas. In mir spürte ich das Fieber. Noch immer war mir nicht richtig klar, ob sie nun feinstofflich war oder nicht. Es konnte auch sein, dass sie ihren Zustand immer wieder wechselte, und das innerhalb einer kurzen Zeitspanne.
Ein nackter Frauenkörper. Mit all seinen Vorzügen und Nachteilen. Kein Körper, wie man ihn in den Hochglanzmagazinen sieht.
An den Schultern knochig, mit kleinen Brüsten und relativ dünnen Beinen. Der Körper eines normalen Menschen eben, was mich natürlich dazu brachte, über dieses Phänomen nachzudenken.
Sie tat nichts. Ich hatte auch nicht das Gefühl, dass sie in einer aggressiven Absicht gekommen war. Sie kniete auf der Haube und schien einfach nur abzuwarten.
Auch das Gesicht fiel nicht durch eine übergroße Schönheit auf.
Ich sah es als normal an. Vielleicht sogar als etwas zu männlich für meinen Geschmack. Das mochte an den vorstehenden Wangenknochen liegen, über die sich eine dünne
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