1366 - Das neue Atlantis
Sie war wie ein Henker, der alles vernichtete, sodass ich mich immer mehr fühlte wie ein kleiner Wurm.
Zum ersten Mal spürte ich meinen gewaltigen Gegner. Es war die verfluchte Kälte, die vor mir nicht Halt machte. Sie türmte sich über meinen Körper wie eine Haube, und sie war trotzdem nicht mit einer Kälte zu vergleichen wie man sie während eines Winters erlebt.
Diese hier sorgte nicht für ein Frieren des Körpers, sondern für einen Kälteschock in der Seele. Genau das machte den Unterschied aus. Sie sorgte dafür, dass die Gefühle eines Menschen einfroren, und ohne Gefühle, egal wie, war der Mensch kein Mensch mehr, sondern nur noch eine Maschine mit menschlichem Aussehen.
Ich kannte das.
Ich wollte nicht hinsehen.
Ich wusste, dass Luzifer als übergroßes Gesicht erschien mit einem Ausdruck in den Augen, den man nicht beschreiben konnte. Er hatte sich als Ebenbild nämlich das menschliche Gesicht ausgesucht, um die Abstammung des Menschen lächerlich zu machen.
Es gab einen gravierenden Unterschied. Wer in sein Gesicht hineinschaute, war verloren. Er starb. Aber nicht durch Gewalt, sondern durch einen seelischen Zusammenbruch, denn mit dem Erscheinen des Gesichts wurde ihm auch etwas sehr wichtiges genommen – die Hoffnung.
Dann gab es für ihn keine Zukunft mehr. Dann fiel er hinein in das tiefe Tal der Ausweglosigkeit und sah keinen Sinn in seinem Leben, sodass ihm letztendlich nur der Tod blieb. Wenn das eintrat, hatte Luzifer triumphiert.
Gefeit war dagegen niemand. Auch ich nicht, der die Mächte der Finsternis bekämpfte.
Aber ich hatte mir angewöhnt, nicht aufzugeben, so lange noch ein Funken Leben in mir steckte. Das hielt ich in diesem Fall auch so.
Gegen Luzifer konnte ich nicht gewinnen, aber ich wollte es ihm so schwer wie möglich machen.
Nicht in sein Gesicht schauen!
Deshalb warf ich mich zu Boden.
Bei diesem Vorgang gelang mir noch ein Blick auf Belial, dessen Gestalt sich immer tiefer in das Dunkel hineindrängte. Diesen Eindruck hatte ich, bevor sich die schwarze Wand auf mich absenkte und mir alles nahm.
Wenig später stellte ich fest, dass die Finsternis nicht an der Wand lag. Ich hatte die Augen geschlossen. Wie jemand, der aufgibt und nichts mehr sehen will. Sei es nun die Hand mit der Todesspritze oder das Schwert des Henkers.
Ich war nicht zu einem zitternden Bündel der Angst geworden. Ich lag starr und erkannte nichts.
Denn die Dunkelheit hatte sich bereits zu weit vorgearbeitet. Nicht mal ein letzter heller Schein kroch über den Boden hinweg.
Aber ich hörte etwas.
Schläge – ein Pochen. Eine Pumpe, die angestrengt arbeitete, und deren Sitz sich in meinem Körper befand. Es war mein eigenes Herz, das so reagierte. Laute Schläge, mit denen es zu protestieren schien.
Mit jedem Schlag kämpfte es gegen die Dunkelheit der Hölle und gegen das drohende Ende an.
Mein Tod in der Lügenwelt war für das Monster Luzifer eine beschlossene Sache. Ich dachte daran, wie nahe ihm Belial stehen musste und vielleicht schon immer gestanden hatte, dass er ihm zu Hilfe kam. Da musste es seit Urzeiten eine Partnerschaft gegeben haben.
Ich lag mit der Nase nahe auf der Erde. Sie roch nicht. Sie wirkte neutral. Sie war aus einer Lüge geschaffen worden, obwohl ich daran auch zweifelte. Es konnte durchaus möglich sein, dass ich mich tatsächlich bei den Flammenden Steinen befand, die zuvor zerstört worden waren, ebenso wie ihre Bewohner.
Mir fiel etwas auf, als ich den Kopf nach rechts drehte und mit einem Auge den Untergrund betrachtete.
So finster war es nicht mehr.
Keine absolute Schwärze.
Aber auch kein Licht!
Das Kreuz lag unter meinem Körper begraben. Es hatte bestimmt nicht für diese Veränderungen gesorgt, und wenn es aktiviert wurde, strahlte es auch kein blaues Licht ab.
Dieses hier aber besaß diese Farbe.
Sehr blau, tiefblau!
Luzifers kalter Schein!
Genau das war die Lösung, und ich wusste, dass mich seine Kraft jetzt erreicht hatte, obwohl sein kaltes Gesicht noch nicht in mein Blickfeld geraten war.
Von einer absoluten Stille wollte ich auch nicht sprechen, Ich hörte zwar mein eigenes Atmen sehr stark. Da gab es aber noch ein anderes Geräusch, das mich aufmerksam werden ließ. Es war nicht so leicht zu identifizieren, aber es hörte sich schon sehr irdisch an, und als ich mich besser konzentrierte, da fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
Jemand kam auf mich zu.
Dieser jemand ging. Er schleifte dabei mit den Füßen über den Boden
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