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14 - Roman

14 - Roman

Titel: 14 - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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nie gedacht, dass sie auf einen Samstag fallen würde. Er reagierte nicht sofort, sondern lauschte fast eine Minute lang den feierlich dröhnenden Glocken, richtete dann sein Gefährt wieder auf und setzte den Fuß aufs Pedal, um den Hang hinabzurollen und den Weg nach Hause einzuschlagen. Ein plötzliches Rumpeln, und ohne dass Anthime es bemerkte, fiel das dicke Buch vom Fahrrad, öffnete sich während des Falls und blieb für immer und ewig allein am Straßenrand liegen, auf dem Bauch, auf der ersten Seite eines mit Aures habet, et non audit überschriebenen Kapitels.
    Als er in die Stadt kam, sah Anthime, wie immer mehr Leute ihre Häuser verließen, sich zu Trupps versammelten und dann in Richtung Place Royale losgingen. Die Menschen wirkten nervös, fiebrig in der Hitze, sie drehten sich nach einander um, riefen einander, vollführten linkische, mehr oder weniger selbstsichere Gesten. Anthime fuhr zu Hause vorbei, um das Fahrrad unterzustellen, dann schloss er sich der allgemeinen Bewegung an, die nun aus sämtlichen Straßen auf dem Platz zusammenfloss, wo eine lächelnde Menge wogte, die Fahnen und Flaschen emporreckte, sich herumfuchtelnd drängelte und kaum Platz für die Pferdewagen ließ, die schon Gruppen transportierten. Alle schienen sie höchst zufrieden über die Mobilmachung: fieberhafte Debatten, übertriebenes Lachen, Hymnen und Fanfaren, patriotische Rufe, von Gewieher unterlegt.
    Auf der anderen Seite des Platzes, bei einem Laden mit Seidenstoffen, an der Ecke der Rue Crébillon und über dieser in patriotischer Glut und Schweiß erröteten animierten Menge erkannte Anthime die Gestalt von Charles, dessen Blick er aus der Entfernung zu erhaschen versuchte. Als ihm das nicht gelang, begann er sich einen Weg durch die Leute zu bahnen. Wie in seinem Büro in der Fabrik in einen zur schmalen, hellen Krawatte passenden Anzug gekleidet, schien Charles sich am Rande des Ereignisses aufzuhalten, den emotionslosen Blick auf das Gedränge gerichtet und wie stets seinen »Rêve Idéal«-Fotoapparat von Girard & Boitte um den Hals. Wie er auf ihn zuging, musste Anthime sich zu einer straffen Haltung zwingen und sich zugleich entspannen, ein widersprüchliches Vorhaben, das doch notwendig war, um die gewisse verschüchterte Geniertheit zu bezwingen, die Charles’ Gegenwart ihm, was auch geschehen mochte, einflößte. Der andere blickte ihm kaum ins Gesicht, sein Blick glitt zu dem Siegelring, den Anthime am kleinen Finger trug.
    Aha, sagte Charles, das ist neu. Und du trägst ihn rechts, sieh an. Sonst hat man ihn eher links. Ich weiß, gab Anthime zu, aber es ist nicht zur Zierde, sondern wegen meines schmerzenden Handgelenks. Ach ja, meinte Charles herablassend, und er stört dich nicht, wenn du den Leuten die Hand gibst. Ich gebe wenig Leuten die Hand, erklärte Anthime, und ich sag doch, es ist wegen der Schmerzen im rechten Handgelenk, es beruhigt. Er ist ein bisschen schwer, aber es funktioniert. Es ist irgendwie magnetisch, wenn du so willst. Magnetisch, wiederholte Charles mit dem Atom eines Lächelns und stieß ein weiteres Atom Luft aus der Nase aus, wobei er den Kopf schüttelte, eine Schulter hochzog und die Augen verdrehte – alle fünf Regungen innerhalb einer Sekunde, und Anthime fühlte sich wieder einmal gedemütigt.
    Na, versuchte er weiterzureden und deutete mit dem Daumen auf eine Gruppe, die mit Schildern wedelte, was hältst du davon. Das war unvermeidlich, antwortete Charles, kniff eines seiner kalten Augen zu und legte das andere an den Sucher, aber das ist eine Sache von zwei Wochen, höchstens. Na, erdreistete Anthime sich einzuwenden, da wäre ich mir nicht so sicher. Wie auch immer, sagte Charles, morgen sehen wir weiter.

2
    U nd am Morgen darauf sahen sich alle in der Kaserne wieder. Anthime hatte sich sehr früh dorthin begeben, hatte unterwegs seine Angler- und Kaffeehausfreunde getroffen, Padioleau, Bossis, Arcenel – der halblaut darüber jammerte, das Ereignis am Vorabend allzu lange gefeiert zu haben: Hämorrhoiden und schwerer Kater. Padioleau, ein schmächtiges, etwas scheues Wesen mit hagerem, wachsbleichem Gesicht, legte ganz das Gegenteil der körperlichen Tüchtigkeit eines Metzgergesellen an den Tag, dabei war genau das sein Beruf. Bossis, nicht zufrieden damit, seinerseits die Figur eines Abdeckers zu haben, war tatsächlich einer, und Arcenel wiederum arbeitete als Sattler, was keinen besonderen Habitus nahelegt. Diese drei jedenfalls interessierten sich, jeder

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