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141 - Das trockene Meer

141 - Das trockene Meer

Titel: 141 - Das trockene Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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Nahe der Küste ragte im Zwielicht der Gestirne ein altersschwach aussehender Turm in die Höhe. Hinter kleinen Fenstern sah man das Flackern ölgespeister Laternen. Als Urla an die ovale Tür kam, glaubte sie, hinter den grob gewirkten Gardinen eine Gestalt vorbeihuschen zu sehen.
    Ygoor? Urla legte instinktiv die Hand auf den Griff ihres Säbels und presste die Lippen aufeinander. Oder die Gnädige?
    Ihre Herrin, der die Reederei gehörte, war eigentlich ganz nett -- wenn man davon absah, dass gewisse Eitelkeiten sie plagten: Seit dem Ableben ihres Gatten, der einst in der fernen Stadt Moska eine hohe Position bei Zaritsch Sergiuz innegehabt hatte und einer Erbschaft in diese Gegend gefolgt war, fürchtete sie sich vor Falten. Kein Tag verging, an dem die Gnädige sich nicht Gedanken darüber machte, wie sie ihre Jugend erhalten konnte. Kürzlich hatte sie sogar einen Alchimisten und einen Schriftgelehrten in ihre Dienste gestellt…
    Urla seufzte. Auch sie würde eines Tages Falten haben.
    Aber sie war erst sechsundzwanzig Winter alt, deswegen machte sie sich im Moment weniger Sorgen über das Altern als über Ygoor, den nichtsnutzigen Neffen der Gnädigen. Ygoor war in ihrem Alter, bekleidete in der Reederei einen mäßig bezahlten Posten als Schreiber und war den Karten und Würfeln verfallen. Urla sah ihn hin und wieder in Gesellschaft von Tagedieben aus dem Hafenviertel.
    Eigentlich, dachte sie, als sie an die eisenbeschlagene Tür des Turms pochte, soll es nicht meine Sorge sein, welche zweifelhafte Gesellschaft er pflegt… Doch andererseits war sie der Gnädigen treu ergeben. War sie nicht verpflichtet, ihr alles zu melden, was sie eines Tages in Schwierigkeiten bringen konnte?
    »Ah, Jungfer Urla…« Die Tür ging auf. Auf der Schwelle stand Ygoor. Er war wie aus dem Ei gepellt, glatt rasiert und duftete nach Parfüm. Er hatte brünettes, zu einem Zopf zusammengebundenes Haar, schillernde schwarze Augen und wirkte auf den ersten Blick sehr anziehend. Leider war er ein Kretin. »Was führt dich zu uns?« Ygoors Blick tastete Urla auf geradezu unanständige Weise ab. Hätte sie ihre Jugend nicht an Bord eines Piratenschiffs verbracht, wäre sie sicher vor Scham errötet. Aber nach sieben Jahren mit dem Abschaum der Menschheit wurde einem so leicht nichts mehr peinlich.
    »Die Gnädige hat mich bestellt.« Urla machte einen Versuch, sich an Ygoor vorbei in die Vorhalle zu schieben.
    Doch der dumme Kerl wollte nicht weichen. Er machte sich grinsend breit, als sei er der Herr im Haus, und sein frecher Blick richtete sich dreist auf ihren Busen.
    »Willst du nicht lieber in meine Kammer kommen?«, fragte er und streckte eine Hand aus, um sie um Urlas Taille zu legen.
    »Pfoten weg!« Urlas Linke zuckte hoch und traf mit einem lauten Klatschen seine Wange.
    Ygoor errötete vor Zorn, doch da er auch noch feige war, machte er Platz und griff sich an die Wange. »Freches Balg«, zischte er. »Was fällt dir ein? Ich bin der Neffe deiner Herrin!«
    Urla stieß die Nase in die Luft und schob sich in den Gang hinein, an dessen Ende eine Wendeltreppe nach oben führte.
    »Aber nicht mein Herr«, sagte sie im Vorbeigehen und erklomm schon die ersten Stufen. »Du bist nicht mal ihr Erbe. Solltest du es wider Erwarten eines Tages doch werden, weiß ich, wohin ich verschwinde.«
    »Ja«, höhnte Ygoor. »Vermutlich gehst du wieder zu den Gesetzlosen, bei denen du dein Benehmen gelernt hast!«
    Urla schnaubte, doch innerlich zuckte sie zusammen. Die Dämonen der Nacht mochten wissen, woher dieser Schleimbeutel von ihrer Vergangenheit wusste. Vermutlich war er in den Kaschemmen, in denen er sich herumtrieb, fremdländischen Seeleuten begegnet , die sie vielleicht im Westen gesehen hatten. Als Reederin war die Gnädige auf Freibeuter nicht gut zu sprechen, deswegen tat Urla gut daran, ihre Vergangenheit zu verschweigen. Außerdem konnte Ygoor nichts beweisen, und die Gnädige hasste üble Nachrede.
    »Wir sprechen uns noch«, fauchte Ygoor und schloss die Tür. »Niemand schlägt Ygoor Saljakin ins Gesicht, ohne dass er es hundertfach zurück kriegt!«
    »Fall tot um«, murmelte Urla. Im dritten Stock klopfte sie an der Tür, die zu den Gemächern ihrer Herrin führte. Sie wurde sogleich herein gebeten und trat in einen Raum, der – mit ihrer kargen Unterkunft im Gasthof verglichen – im Luxus schwelgte. Weiche Felle bedeckten den Boden. An den steinigen Wänden hingen bunte Teppiche. Das Mobiliar bestand aus schwerem Holz,

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