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141 - Das trockene Meer

141 - Das trockene Meer

Titel: 141 - Das trockene Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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und in den Regalen an den Wänden befanden sich Krimskrams und einige Bücher.
    Nadia Saljakin saß hinter einem mit Dokumenten beladenen Schreibtisch und schaute auf.
    »Gnädige Frau…« Urla machte die Tür hinter sich zu und verbeugte sich. »Sie haben mich rufen lassen?«
    »Ah, Urla, wie schön, dass du noch gekommen bist.« Die Gnädige erhob sich kurz, deutete auf einen Hocker und nahm wieder Platz. »Wie geht’s denn so?« Sie hatte sich schon zur Nacht umgezogen. Ihre Kleidung war so hauchzart, dass man fast hindurch sehen konnte. Ihre Lippen waren voll, ihr Haar schwarz und lang, ihre leicht geschlitzten Augen so dunkel wie die Ygoors. Doch fehlte ihrem Blick die Tücke.
    Bevor ich Ihren Neffen getroffen habe, ging es mir gut, dachte Urla. Doch jetzt pocht mein Herz, denn der Lump wird mich eines Tages noch in die Pfanne hauen. »Oh, danke der Nachfrage. Ich kann nicht klagen.«
    »Ausgezeichnet.« Die Gnädige öffnete eine Flasche, die auf dem Schreibtisch zwischen Papieren und Federkielen stand, füllte zwei dicke Gläser und reichte eins davon Urla. »Auf dein Wohl. Und auf meins.«
    Sie tranken. Der Voydka lief heiß durch Urlas Kehle, deutlich köstlicher als der Fusel in den Hafenschenken. Urla hätte gern eine ganze Flasche von dem Zeug gehabt, aber dazu reichte ihr Sold nicht aus.
    »Ich habe dich zu mir gerufen, Urla«, sagte die Gnädige, »weil ich einen Auftrag für dich habe.«
    »Zu Diensten, gnädige Frau. Dafür stehe ich in Ihrem Sold.«
    »Eben.« Nadia Saljakin nickte. »Du hattest in letzter Zeit nicht viel zu tun.« Sie lächelte. »Deswegen wird dein neuer Auftrag ein gerechter Ausgleich sein, denn er ist nicht ganz ungefährlich.« Ihre dunklen Augen richteten sich auf Urlas Gesicht. »Er wird dich in die Nähe des Kristofluu-Sees führen.«
    Urla erschrak bis ins Mark. »Was?!«
    Die Gnädige lächelte. »In die Nähe«, wiederholte sie, »aber so nah nun auch wieder nicht.«
    In Urlas Kopf wirbelte einiges durcheinander. Der See befand sich im Süden, nicht fern von der Quelle des Kolyma, an dessen Mündung die Hafenstadt Tscherskij lag. Dem Vernehmen nach war er so groß wie ein Meer und abgrundtief.
    Die wenigen Einheimischen, die sein Ufer je gesehen hatten – wagemutige Forscher und hart gesottene Jäger – sprachen nur hinter vorgehaltener Hand von dem schrecklichen Gezücht, das dort am Ufer lebte: Monstrositäten allesamt.
    Urla trank einen großen Schluck und merkte, dass ihre Courage zunahm. »Was ist das für ein Auftrag?«
    »Ich erzähle es dir später.« Die Gnädige stand auf und trat an eins der kleinen Fenster, durch die der Silbermond ins Turmzimmer schien. Ohne sich umzuwenden, sagte sie: »Du hast doch gewiss von dem Keller aus der Vorzeit gehört, auf den meine Leute bei der Erweiterung des Hafenbeckens gestoßen sind?«
    Urla erinnerte sich. »Ja.« Der Keller stammte, wie viele andere hier, aus der Zeit vor dem dreihundertjährigen Eis; aus einer Epoche, in der die Menschen sich in fliegenden Kutschen von einem Ort zum anderen bewegt hatten. In Tscherskij lebte ein seltsamer Mann, der davon überzeugt war, dass die Menschen diese Kunst eines Tages wieder beherrschen würden: Er selbst hatte schon erfolgreich einen Ballon gebaut, mit dem er, in einem großen Korb stehend, bei gutem Wetter über der See und den Wäldern kreiste.
    Die Gnädige wandte sich um. »Wie du sicher weißt – wir haben ja kein Geheimnis daraus gemacht –, haben wir in diesem Keller Papiere aus alter Zeit gefunden. Mein Schriftgelehrter ist ein sehr gebildeter Mann und kann auch die merkwürdigen Zeichen lesen, mit denen die Menschen sich vor dem Eis verständigt haben. Er hat den Papieren sehr interessante Informationen entnommen.« Die Gnädige nahm wieder Platz, füllte erneut die Gläser und prostete Urla zu.
    Dann erzählte sie mehr über die Papiere, und Urla hörte Dinge, bei denen sie sich, um alles zu verstehen, gehörig anstrengen musste.
    Vor dem Eis hatte in diesem Land ein mächtiger und weiser König namens Yossif gelebt. Seine Untertanen hatten ihn sehr geliebt, und er war hart, aber gerecht gewesen. Menschen, die nicht der Allgemeinheit dienen wollten, hatte er von einer im Geheimen operierenden Bruderschaft namens Kagebee jagen lassen. Da er jedoch in weiter entfernten Reichen viele Neider hatte, drohten ihm andere Herrscher eine Invasion seines Reiches und den Tod an. Um den Sieg dieser Barbaren zu verhindern, hatte Yossif im vierten Jahr seiner Herrschaft

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