Geheimauftrag: Liebe
1
Restormel Abbey
Lostwithiel, Cornwall
April 1816
Knacks!
Ein Holzscheit zerbrach auf dem Kaminrost; Funken zischten und zerstoben. Flammen loderten auf und sandten schmale Lichtstreifen über die Lederrücken der Bücher in den Regalen, die die Wände der Bibliothek säumten.
Charles St. Austell, Earl of Lostwithiel, hob den Kopf von den Polstern seines Lehnstuhls und vergewisserte sich, dass keine Glut auf das Fell seiner zotteligen Wolfshunde Cassius und Brutus gelangt war. Die beiden lagen wie riesige Pelzhaufen zu seinen Füßen – keiner von ihnen zuckte, von keinem stieg Rauch auf. Beruhigt ließ Charles sich in das abgenutzte weiche Leder zurücksinken, hob das Glas in seiner Hand und trank einen Schluck, um dann wieder in Gedanken zu versinken.
Über das Leben und seine Unwägbarkeiten, seine manchmal unerwarteten Wendungen.
Draußen pfiff der Wind um die hohen Steinmauern, aber gemäßigter als sonst. Die heutige Nacht war verhältnismäßig ruhig, voller Leben und frisch, jedoch nicht aufwühlend wie häufig hier an der südlichen Küste Cornwalls der Fall. Innerhalb der Abbey herrschte schläfrige Stille. Es war nach Mitternacht – außer ihm war kein menschliches Wesen mehr wach.
Es war eine günstige Zeit, um Bilanz zu ziehen.
Er befand sich hier auf einer Mission, sollte herausfinden, ob an der Geschichte etwas Wahres dran war, dass Erkenntnisse des Foreign Office, des Außenministeriums, über hiesige Schmuggelrouten außer Landes gelangt waren. Doch würde ihn das nicht sonderlich beanspruchen und gewiss nicht auf persönlicher Ebene. Als sein früherer Vorgesetzter Dalziel ihn damit betraute, war es für ihn mehr ein Vorwand gewesen, um nach Cornwall in die Abbey zurückzukehren, in das Heim seiner Vorfahren, das nun ihm gehörte. Vor allem hatte er Zeit gewinnen wollen, in Ruhe nachzudenken und eine Lösung für sein Dilemma zu finden, das darin bestand, dass er einerseits dringend eine Ehefrau brauchte, während andererseits sein Glaube zunehmend schwand, dass es ihm noch gelingen würde, die Richtige zu finden.
In London hatte er mehr als genug Kandidatinnen kennengelernt, aber keine von ihnen entsprach auch nur im Entferntesten dem, was er brauchte. Von übereifrigen jungen Mädchen verfolgt zu werden, die mehr Haare als Verstand ihr Eigen nannten und in ihm lediglich einen gut aussehenden und wohlhabenden Adeligen sahen, der zudem als Zugabe noch ein geheimnisvoller Kriegsheld war, diese Vorstellung war für ihn zu seiner persönlichen Version vom Fegefeuer geworden. Er hatte beschlossen, erst dann in die Gesellschaft zurückzukehren, wenn er sich endlich darüber klarwurde, wie seine künftige Gattin beschaffen sein sollte.
Um die Wahrheit zu sagen: Die Heftigkeit seines Wunsches nach einer Ehefrau – und zwar der richtigen – fand er selbst unheimlich. In der ersten Zeit nach der Schlacht von Waterloo gelang es ihm, sich einzureden, dass es ganz normal sei, sich nach einer Frau zu sehnen, zumal in seinem Alter. Außerdem ging es seinen Freunden – insbesondere jenen sechs, die ihm in vielem sehr ähnlich waren – nicht anders, sodass ihn die Geschichte
zunächst nicht sonderlich beunruhigte. Gemeinsam gründeten sie den Bastion Club, ihr letztes Bollwerk gegen die heiratswütigen Mütter der guten Gesellschaft, was seine Ungeduld und die Dringlichkeit seines Wunsches für einige Monate linderte.
Aber dann scherten Tristan Wemyss und Tony Blake aus der Junggesellengemeinschaft aus und heirateten, während er mit seinem rastlosen Verlangen, das von Tag zu Tag heftiger zu werden schien, dasaß und immer noch darauf wartete, dass seine Traumfrau erschien.
Deshalb war er nach London übergesiedelt und hatte sich in den Trubel der beginnenden Saison gestürzt. Er wollte endlich wissen, was hinter seinem wachsenden, aber irgendwie undefinierbaren Verlangen steckte. Immerhin waren dreizehn Jahre vergangen, seit er zum letzten Mal an solchen gesellschaftlichen Vergnügungen teilnehmen konnte, denn seitdem hatte er für sein Vaterland auf dem Kontinent gegen den französischen Emporkömmling Napoleon, der sich dann auch noch selbst zum Kaiser ernannte, gekämpft, und zwar auf seine ganz besondere Weise. Immer wachsam, immer auf der Hut, sodass andere Gedanken gar nicht aufkamen. Doch obwohl der Krieg jetzt zu Ende war, merkte er auf Gesellschaften, Bällen und in großen Menschenansammlungen, dass er nicht bei der Sache, sondern geistesabwesend war. Immer noch der
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