1442 - Das Relikt
wie hoch die Wände noch waren, auch wenn es keine Dächer mehr gab und auch irgendwelche Glockentürme nicht mehr zu sehen waren. Hier konnte man sich noch aufhalten und sich sogar verstecken.
Darüber machten wir uns keine Gedanken, denn jeder von uns ging davon aus, dass wir auf dieser kleinen Insel das Kreuz finden würden. Ein flackernder und noch sehr schwacher Lichtschein wies uns den Weg.
Er führte uns auf eine Öffnung im Mauerwerk zu, in der wir den Beginn einer recht breiten Treppe sahen, deren Stufen von Kerzenlicht beleuchtet wurden.
Das Licht machte uns misstrauisch.
Suko und ich zogen unsere Waffen. Godwin drückten wir zurück, und so gingen wir vor ihm die Treppe hinab, immer darauf gefasst, dass uns eine böse Überraschung bevorstand.
Wir gelangten in einen Bereich, in dem wir einen besseren Überblick hatten. Das Ende der Treppe war bereits zu sehen. Nur wartete dort unten niemand. Uns empfing das Licht zahlreicher Kerzen und auch eine beklemmende Stille.
Wir waren bereit, sofort zu reagieren, wenn etwas passieren sollte, aber wir hatten Glück.
Auch Godwin de Salier war bei uns, als wir vor der letzten Stufen stehen blieben. Unsere Augen mussten sich erst an die Lichtverhältnisse gewöhnen. Hätte sich jemand hier aufgehalten, wir hätten ihn bestimmt entdeckt. Aber da war keiner, der etwas von uns wollte.
Suko entdeckte den Toten zuerst.
»Da!«, rief er und lief auf den am Boden liegenden Mann zu. Ich folgte ihm, während sich Godwin in eine andere Richtung bewegte.
Suko hielt bereits seine schmale Lampe in der Hand. In ihrem Licht war der Tote besser zu sehen. Wir mussten hart schlucken, als wir die tiefe Wunde in der Brust des völlig verkohlten Leichnams entdeckten.
»Du weißt, wer das ist, John?«
»Sicher. Das kann nur Gabin sein.«
»Dann frage ich mich, wer ihn umgebracht hat.«
»Frag lieber, was ihn getötet hat.«
»Das Kreuz?«
»Ich gehe davon aus.«
Hinter uns hörten wir einen leisen Schrei. In ihm klangen Enttäuschung und Zorn mit.
»Kommt her.«
Godwin stand vor einem primitiven Bett, das aus zwei übereinander gelegten Matratzen bestand. Obenauf hatte ein schmaler Koffer seinen Platz gefunden. Der Deckel war angehoben, und wir schauten in ein mit Samt ausgelegtes leeres Unterteil hinein. Deutlich zeichneten sich im Samt die Umrisse eines großen Kreuzes ab.
»Wisst ihr Bescheid?«, flüsterte der Templer.
Suko und ich nickten nur.
Godwins Gesicht verzerrte sich. »In diesem Koffer, da bin ich mir sicher, hat das Kreuz gelegen. Seine Maße passen. Aber jetzt ist es verschwunden.« Er schaute uns fragend an, als könnten wir ihm sagen, wo es sich befand und wer es gestohlen haben könnte.
»Okay, du scheinst Recht zu haben, Godwin«, sagte ich. »Ich denke, dass wir uns beeilen sollten, denn ich habe das Gefühl, dass der Dieb noch nicht lange verschwunden ist. Denk an die beiden Boote, die wir sahen.«
Wir machten uns umgehend an den Rückweg, nur liefen wir diesmal schneller, und ich konnte mir genau vorstellen, wie es im Innern meines Freundes Godwin aussah…
***
Beide keuchten, aber Smith atmete heftiger. Er war innerlich viel aufgewühlter und besaß auch nicht die Kondition des Killers. Beide Männer rannten schnurstracks auf die Boote zu. Das konnten sie sich leisten, weil die drei Besucher in der Ruine verschwunden waren.
Smith dachte nur an das Kreuz. Er hielt es gegen seine Brust gepresst, sodass er Probleme beim Laufen bekam.
Nach einer kurzen Strecke ging es bergab. Der Hang, über den jetzt grauer Dunst trieb und erster Schnee aus dem Himmel rieselte, war nicht sehr steil. Aber wer nicht aufpasste, konnte sich leicht vertreten, und das passierte mit Smith.
Er verlor den Boden unter den Füßen. Im nächsten Moment lag er in der Luft, fing sich nicht mehr und landete auf dem Bauch. In dieser Haltung rutschte er weiter und verlor dabei sogar das Kreuz.
Pablo hielt an, weil er Smith auf die Beine helfen wollte. Doch dem stand danach nicht der Sinn.
Dreck verschmierte sein Gesicht, als er den Kopf anhob und den Mund aufriss.
»Hau ab! Lauf zum Strand und mach das Boot fertig. Schieb es schon mal ins Wasser.«
»Aber…«
»Kein Aber. Lauf schon los.«
Erst als sich Pablo einige Meter von ihm entfernt hatte, rappelte sich Smith wieder auf. Das Kreuz lag ein Stück entfernt. Er riss es an sich. Es war durch den feuchten Lehm des Bodens verschmiert worden, aber das störte ihn nicht. Seine Wirkung hatte es deswegen bestimmt nicht
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