Riptide - Mörderische Flut
Prolog
An einem Nachmittag im Juni 1790 geriet Simon Rutter, ein Kabeljaufischer aus Maine, in einen Sturm, der mit einer starken Riptide, einer Rückströmung, einherging. Weil sein kleines Boot mit Fisch überladen war, wurde es weit vom Kurs abgedrängt, und Rutter mußte auf der nebelverhangenen Insel Ragged Island sechs Meilen vor der Küste Schutz suchen. Die Zeit, die der Fischer auf das Ende des schlechten Wetters wartete, nutzte er, um das verlassene Eiland zu erkunden. Hinter den Felsenklippen an der Wetterseite der Insel entdeckte er eine alte Eiche, an deren unterstem Ast die Reste eines Flaschenzugs hingen. Direkt darunter war der Erdboden an einem kleinen Fleck eingesunken. Obwohl die Insel als unbewohnt galt, sah Rutter in dem Flaschenzug einen klaren Beweis dafür, daß vor vielen Jahren einmal jemand hiergewesen sein mußte.
Rutters Neugier war geweckt, und so kehrte er an einem Sonntag ein paar Wochen später zusammen mit einem seiner Brüder nach Ragged Island zurück. Die beiden Männer hatten Pickel und Schaufel dabei und begannen, nachdem sie die alte Eiche wiedergefunden hatten, in der Senke unter dem Flaschenzug zu graben.
In etwa eineinhalb Metern Tiefe stießen sie auf eine Plattform aus Eichenbohlen. Von diesem Fund beflügelt, gruben sie, nachdem sie die Bohlen entfernt hatten, immer weiter. Bis zum Abend hatten sie ein Loch von fast sieben Metern Tiefe ausgehoben, das durch mehrere Schichten von Holzkohle und Lehm sowie eine weitere Plattform aus Eichenholzbrettern führte. Die Brüder beendeten ihre Arbeit und nahmen sich vor, nach der Makrelenwanderung zurückzukehren. Doch daraus wurde nichts, denn eine Woche später ertrank Rutters Bruder, als sein Boot in einem Sturm kenterte, und Rutter gab die Weiterarbeit an dem Schacht vorerst auf.
Erst zwei Jahre später beschlossen Rutter und eine Gruppe Geschäftsleute von der Küste, gemeinsam eine weitere Grabung auf Ragged Island zu starten. Kurz nachdem sie die Ausschachtungsarbeiten wiederaufgenommen hatten, stießen sie auf vertikal verlaufende, dicke Eichenholzbalken und Querverstrebungen, die offenbar die alte Verschalung eines später wieder mit Erde gefüllten Schachtes darstellten. Wie tief die Gruppe bei ihren Grabungen genau kam, weiß heute niemand mehr. Die meisten Schätzungen gehen aber davon aus, daß sie es fast bis hinunter auf dreißig Meter schaffte. In dieser Tiefe stießen die Arbeiter auf eine Steinplatte, in die folgende Inschrift gemeißelt war:
Mit Lügen begonnen
In Schmerzen zerronnen
Den Tod nur gewonnen
Die Männer lösten den Stein aus der Erde und hievten ihn nach oben. Später wurden immer wieder Theorien laut, daß mit dieser Aktion eine Art Stopfen entfernt wurde, denn Sekunden später lief der Schacht ohne Vorwarnung mit Salzwasser voll. Die Männer, die dort unten gegraben hatten, konnten sich gerade noch retten - bis auf einen: Simon Rutter. Er war das erste Todesopfer, das die Wassergrube, wie der vollgelaufene Schacht seitdem genannt wurde, gefordert hatte.
Viele Legenden ranken sich um die Entstehung dieser Wassergrube. Als eine der wahrscheinlichsten gilt die, daß hier der im Jahr 1695 auf mysteriöse eise ums Leben gekommene englische Pirat Edward Ockham kurz vor seinem Ende einen riesigen Schatz vergraben haben soll. Schon kurz nach Rutters Tod kamen erste Gerüchte auf, daß auf dem Schatz in der Wassergrube ein Fluch läge und daß jeden, der seiner habhaft werden wolle, genau das Schicksal ereilen werde, welches auf der Steinplatte beschrieben wurde.
Der ersten gescheiterten Grabung folgte eine lange Reihe erfolgloser Versuche, die Wassergrube trockenzulegen. So gründeten im Jahr 1800 zwei von Rutters früheren Geschäftspartnern eine neue Firma und sammelten Geld, um vier Meter südlich der Wassergrube einen zweiten Schacht zu graben. Sie hatten vor, von dort aus durch einen Quertunnel zur Schatzkammer vorzudringen. Als sie jedoch mit diesem Tunnel in die Nähe der Wassergrube kamen, füllte auch dieser sich so rasch mit Wasser, daß die dort arbeitenden Männer sich nur mit Mühe in Sicherheit bringen konnten.
Danach ließ man die Wassergrube über dreißig Jahre lang in Ruhe. Im Jahr 1831 schließlich gründete ein Bergbauingenieur aus Maine namens Richard Parkhurst die Bath Expeditionary Salvage Company. Weil er mit einem der Geldgeber der ersten Expedition befreundet war, hatte Parkhurst wertvolle Informationen über die ursprünglichen Ausgrabungsarbeiten erhalten. Er ließ
Weitere Kostenlose Bücher