1459 - Die Hexe und ihr Henker
hier?«, fragte Bill.
Sheila deutete auf die Umkleidekabine, deren Vorhang ganz zur Seite gezogen war.
»Dort.«
»Die ist aber klein für zwei Personen.«
»Ich sah den Henker auch nur im Spiegel.«
»Jetzt wird es noch unheimlicher«, sagte Bill.
»Lass deine Frau doch mal von Beginn an erzählen«, sagte ich zu meinem Freund.
»Ja, ja, ist ja gut.«
Sheila stellte sich neben die blasse Verkäuferin, die Emma Smith hieß, wie wir an ihrem Namensschild ablesen konnten. Wir hörten zu und erfuhren wirklich eine haarsträubende Story, die die meisten Menschen nicht ernst genommen hätten.
Wir dachten allerdings anders darüber und kamen überhaupt nicht auf die Idee, Sheilas Aussagen anzuzweifeln. Ich fragte sie, ob sie sich einen Grund für das Erscheinen der beiden Gestalten vorstellen konnte.
»Nein, den kenne ich nicht«, sagte Sheila.
»Und was ist mit Ihnen, Mrs Smith?«, wollte ich wissen.
Sie schrak erst mal zusammen, dann schaute sie mich an und schüttelte den Kopf.
Klar, sie wusste nichts. Über eine andere Antwort wäre ich auch verwundert gewesen.
»Jedenfalls haben wir einen Beweis«, erklärte Sheila und deutete auf das weiße Kleid. »Die Flecken, die ihr dort seht, sind keine Farbmuster. Sie stammen vom Blut der Trägerin. Das haben ihre Wunden abgesondert. Das Kleid hat es aufgefangen.«
»Wir werden es untersuchen lassen.«
»Klar, Bill«, sagte ich. Danach betrat ich allein die Umkleidekabine. Da der Vorhang zur Seite geschoben war, konnte man mich von außerhalb gut sehen.
Ich schaute zunächst mal in den Spiegel. Dabei dachte ich daran, dass ich schon öfter damit konfrontiert worden war, dass sich Spiegel als geheimnisvolle, transzendentale Tore erwiesen hatten, die gern von den Mächten der Finsternis benutzt wurden, um in die Welt der Menschen zu gelangen.
Der Spiegel war da und ich auch!
Von den Füßen bis zu den Haaren konnte ich mich in der großen Spiegelfläche sehen, und ich entdeckte dabei nichts, was sich an meinem Körper verändert hätte.
Das Gleiche gestand ich der Spiegelfläche zu, denn sie blieb völlig normal. In ihr sah ich nur die Bewegung, als Bill Conolly auf mich zuschlenderte.
»Und? Was gefunden?«
»Nein. Es ist alles normal.«
»Super.«
Ich winkte ab. »Halte den Ball flach, Alter. Was deine Frau erzählt hat, hört sich nicht beruhigend an.«
»Stimmt auch wieder.« Bill klopfte gegen den Spiegel. »Der ist hart und fest, aber er muss trotzdem etwas haben.«
»Ja, das Tor!«
Bill wusste, was ich vorhatte. Nach meiner Antwort schielte er über die Schulter zurück. »Wäre es nicht besser, wenn wir den Vorhang schließen, falls du einen Test mit deinem Kreuz machen willst?«
»Du kennst dich aus, wie?«
Bill hob nur die Schultern. Danach schloss er den Vorhang. Sheila schaute ihn zwar etwas prüfend dabei an, doch das störte ihn nicht.
Er flüsterte mir zu: »Dass ausgerechnet Sheila damit konfrontiert worden ist, das entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie.«
»Toll ausgedrückt, aber zu deiner Antwort hätte der Begriff Schadenfreude besser gepasst.«
»Du nimmst mir auch jeden Spaß.«
»Weil ich dich kenne, Bill.«
Inzwischen hatte ich das Kreuz hervorgeholt und es auf meine Handfläche gelegt. Ein wenig enttäuscht war ich schon, als ich keinen Wärmestoß spürte, aber noch hatte ich den Spiegel nicht getestet.
Ich wollte erst gar nicht daran denken, wie oft ich schon einen Test mit meinem Kreuz durchgezogen hatte. Da kam im Laufe der Zeit schon einiges zusammen.
Ich machte kein großes Theater und brachte das Kreuz sofort mit der Spiegelfläche zusammen.
Jetzt stieg meine Spannung.
Zu Recht!
Zuerst erlebte ich nur eine schwache Reaktion, aber sie nahm von Sekunde zu Sekunde zu. Jetzt war das Vibrieren des Kreuzes nicht mehr zu ignorieren.
Ich erlebte den Strom, der das Metall durchfloss und meine Hand erreichte. Ich wartete zudem darauf, dass die Spiegelfläche rissig oder grau werden würde, aber den Gefallen tat sie mir nicht. Sollte dieser Spiegel tatsächlich ein Tor in eine andere Dimension sein, so blieb es für mich geschlossen. Nur das Vibrieren war weiterhin zu spüren.
Bill hatte es auch mitbekommen und es an meiner Hand verfolgen können. Als er selbst seine Hand gegen die Fläche legte, spürte er nichts.
Ich gab nicht auf. Mit dem unteren Ende des Kreuzes zeichnete ich einen Kreis auf die spiegelnde Fläche, aber es geschah nichts. Wenn es hier wirklich ein Tor gab, musste man dafür wohl ein besonderes
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