1459 - Die Hexe und ihr Henker
überfragt.«
»Warum waren sie hier?«
Sheila hob nur die Schultern.
Die Verkäuferin ging zu einem kleinen Hocker und ließ sich darauf nieder. Nachdem sie mit ihren Händen durch das Gesicht gefahren war, warf sie einen Blick auf die Eingangstür. »Von dort ist die Blonde gekommen.« Emma schüttelte den Kopf und musste lachen.
»Nicht nur, dass sie keine Handtasche bei sich trug, sie hatte nicht mal Schuhe an. Sie kam tatsächlich auf nackten Füßen daher, und das von draußen! Können Sie sich das vorstellen, Mrs Conolly?«
»Nur schwer, wenn ich ehrlich sein soll.«
»Ich auch«, flüsterte Emma, »ich auch. Es ist alles wie ein böser Traum. Und er wird mich immer verfolgen, das weiß ich genau…«
Sie sprach noch leise weiter und war somit beschäftigt.
Sheila ging noch mal zurück in die Kabine. Der Spiegel war jetzt leer. Das überraschte sie nicht weiter. Aber sie interessierte sich auch für etwas anderes. Die Frau hatte ihr Kleid ausgezogen und es nicht wieder übergestreift. Es lag noch auf dem Boden.
Sheila zog es davon herab. Sie legte es sich noch nicht über den Arm, sondern hielt es mit beiden Händen hoch und auseinander, sodass sie es betrachten konnte.
Da gab es den unschuldigen weißen Stoff. Aber nicht an jeder Stelle. Sie sah genügend rote und braune Flecken, deren Ursprünge auf der Hand lagen.
Sie mussten von den Wunden stammen, die verschiedene Waffen auf dem Körper hinterlassen hatten.
Sheila hielt das Kleid dicht vor ihre Nase und roch daran. Es war ihr zwar nicht angenehm, aber sie wollte wissen, ob sich etwas darin gehalten hatte.
Leichengeruch, zum Beispiel…
Nein, der Stoff roch nicht nach Tod und Verwesung. Zwar alt und muffig, doch der Geruch nach einer Leiche steckte nicht in ihm. Sie nahm auch keinen Blutgeruch wahr.
Sie nahm das Kleid mit. Das andere, das die Blonde nicht einmal anprobiert hatte, ließ sie an dem Haken hängen. Bevor sie die Kabine verließ, warf sie noch einen Blick in den Spiegel.
Nichts war mehr zu sehen. Die Nackte und der Henker waren in einer anderen Dimension verschwunden.
Was tun?
Hier war etwas passiert, das mit dem normalen Verstand nicht zu erklären war. Sheila kannte sich da aus, aber es war mal wieder typisch, dass sie in diesen Kreislauf hineingeraten war. Das war ihr Schicksal. Vor Jahren hatte alles mit dem Tod ihres Vaters und dem Auftauchen des Dämons Sakuro begonnen und sie bisher nicht losgelassen, auch wenn Sheila sich immer dagegen gewehrt hatte.
Sie selbst konnte die Frau und den Kuttenträger mit der Sense nicht mehr zurückholen. Nur war sie davon überzeugt, dass sie wiederkommen würden, und wenn das eintrat, sollte man vorbereitet sein.
Emma Smith schaute zu, wie Sheila das blutbefleckte Kleid über die Lehne eines Stuhls hängte.
»Und?«, fragte sie.
»Wir werden es untersuchen lassen.«
»Wo denn?«
Sheila lächelte. »Bei der Polizei.«
Emmas Augen weiteten sich. Sie fröstelte plötzlich. »Die – die – Polizei wird uns nicht glauben, was hier passiert ist. Obwohl wir doch Zeugen sind. Nein, das glaube ich nicht.«
Als Sheila nickte, hielt sie das Handy bereits in der Hand.
»Und ob uns die Polizei glauben wird«, erklärte sie und dachte dabei mehr an John Sinclair als an ihren Mann…
***
Es war nicht viel Zeit verstrichen, da stieß Bill Conolly vor mir die Tür zu dieser Edel-Boutique auf und betrat eine Welt, in der er nur selten zu finden war. Ebenso wie ich.
Nur zwei Frauen hielten sich im Geschäft auf. Die eine war Sheila, die andere eine Verkäuferin. Beide sahen nicht eben fröhlich aus, wie man es nach einem Einkauf von ihnen hätte erwarten können, aber zum Anprobieren war Sheila gar nicht gekommen, wie sie uns schon durch ihre kurze Nachricht, die uns in der Kneipe erreichte, hatte wissen lassen.
Diesmal schien sie in einen Fall hineingeraten zu sein, für den ansonsten wir zuständig waren.
Sheila war wirklich erleichtert, sonst hätte sie ihren Mann nicht umarmt. Allerdings sahen wir keine unmittelbare Gefahr. Die Verkäuferin ging hin und schloss die Tür ab, damit uns keine anderen Kunden störten.
Ich wandte mich an Sheila. »Worum geht es?«
Sie gab die Antwort uns beiden. »Ihr werdet euch wundern. Aber es geht um eine nackte Frau mit von Wunden übersätem Körper und um einen Henker, der mit einer Sense bewaffnet ist.«
»Doch nicht der Schwarze Tod?«, sagte ich.
»Nein, nein, da musst du dir keine Sorgen machen. Aber ein Henker ist es schon.«
»Der war
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