1467 - Landhaus der Leiden
Praktisch ab Mai begann die Saison, und im Juni waren die meisten der Häuser bereits mit Gästen belegt.
Die kleinen Probleme, die es immer wieder mal gab, löste die dunkelhäutige Ruth locker, denn die Natur hatte ihr ein sehr freundliches Wesen mitgegeben. Für sie galt das Motto »rund und gesund«, und so störte sie sich nicht über die paar Pfunde, die sie zu viel auf den Rippen hatte. Damit kam sie gut zurecht.
Und sie war stolz auf ihren alten Renault R4, ihr. Ein und Alles in ihrem Leben. Ihr Freund war ein begeisterter Autobastler. Er hatte den Wagen auch weiß lackiert und mit der Aufschrift versehen HOLLIDAYS AT ITS BEST! Wer das las, der wusste, dass Ruth unterwegs war. Die Frau, die stets einen hellen Overall trug, der so etwas wie ihr zweites Markenzeichen war.
Wie gesagt, ihr machte der Job Spaß. Und doch gab es einen Punkt, der sie störte. Sie war nicht nur für die Häuser verantwortlich, die auf einem bestimmten Gelände standen, es gab noch einen Bau, der außerhalb und ziemlich einsam lag.
Ein Landhaus. Ein Gebäude, das bereits einige Jahre auf dem Buckel hatte aber renoviert worden war, und zwar so perfekt, dass Menschen es gern mieteten und dort ihren Urlaub verbrachten. Es war ein Haus mit einer bestimmten Vergangenheit, über die man nicht gern sprach. Da hielten sich die Bewohner der etwas entfernt liegenden Dörfer lieber zurück. Angeblich waren in der Nähe des Hauses in dem nahen unwegsamen Gelände zahlreiche Menschen verschwunden, was auf die Existenz eines Mannes mit dem Namen Green Man zurückzuführen war, der sich vor einiger Zeit Opfer geholt hatte, um sie für alle Zeiten verschwinden zu lassen.
Das war vorbei. Doch das Haus gab es immer noch, und es wurde immer wieder vermietet. Die Firma, für die Ruth arbeitete, hatte es in ihr Programm aufgenommen. Es fanden sich genügend Mieter, die diese schaurigschöne Umgebung liebten, vor allen Dingen Paare, die nicht gern durch andere Menschen gestört wurden.
Auch an diesem Tag sollten wieder Gäste kommen. Sie trafen zumeinst am frühen Nachmittag ein, und so hatte Ruth Robertson Zeit genug, noch einen Blick hineinzuwerfen, um nach dem Rechten zu schauen.
Das Landhaus – so wurde es im Prospekt angepriesen – lag einige Kilometer von der normalen Feriensiedlung entfernt. Hin führte eine recht gut zu befahrene schmale Straße, die durch den Wald führte und am Haus endete.
So allein im Wald fühlte sich die dreißigjährige Ruth Robertson nie richtig wohl, besonders dann, wenn sie an die Vergangenheit dachte. Aber das war vorbei.
Die Sonne schien von einem herrlich blauen Himmel, und das wirkte sich auch auf die Laune der Frau aus. Sie pfiff einen Hit nach dem anderen vor sich hin, während sie durch den Wald fuhr und auf die Fahrbahn schaute, auf die Licht und Schatten ein gesprenkeltes Muster warfen, das sich immer wieder veränderte.
Manchmal überwogen die hellen Stellen, dann war es wieder dunkler, und Ruth sah die nassen Flecke, die der Morgennebel hinterlassen hatte.
Nach einer Weile lichtete sich der Wald an der rechten Seite. Es war ein erstes Zeichen dafür, dass ihr Ziel nicht mehr weit entfernt war. Tatsächlich sah sie es gleich darauf einsam und verlassen auf einer Lichtung stehen, zu der von der Straße ein Pfad führte, auf dem die breiten Rillen von Autoreifen deutlich zu erkennen waren.
Sie bog ab.
Das Haus sah aus wie immer. Um diese Zeit lag der größte Teil im Schatten. Nur auf das Dach warf das Sonnenlicht schon einen hellen Streifen.
Sie fuhr langsamer. Der Wagen schaukelte, und Ruth ging fast davon aus, dass sie das Putzzeug hinten im Wagen nicht benötigte. Es würde alles okay sein.
Sie stoppte. Der Motor orgelte noch etwas nach, dann war sie von Stille umgeben. Sie stieg aus. Die hier noch vorhandene Kühle gefiel ihr. Sie ging die wenigen Schritte bis zum Eingang, schaute unter dem Trittblech nach, ob der Schlüssel dort noch lag, und nickte zufrieden, als sie ihn sah. Nur etwas störte sie. Er lag an einer anderen Stelle, fast schon am Rand des Blechs.
Ruth dachte nicht weiter darüber nach, ließ den Schlüssel liegen und nahm ihren eigenen, um die Tür aufzuschließen.
Nach zwei Schritten schon blieb sie stehen. Ihr Blick war zu Boden gerichtet, und plötzlich schlug ihr Herz schneller. Was sie zu sehen bekam, das schlug dem Fass den Boden aus. Das war noch nie vorgekommen, denn auf dem Fußboden sah sie Schmutzspuren, die nur von Füßen hinterlassen worden sein konnten.
Das
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