1482 - Clarissas Sündenfall
gut!«
Der Mann zog sich zurück. Kitty stand hinter dem Tresen. Sie wunderte sich darüber, dass sie es geschafft hatte, sich aufzurichten.
Sie hätte selbst nicht gedacht, dass sie so viel Kraft aufbringen würde. Manchmal wuchs der Mensch eben über sich selbst hinaus.
Der Bankräuber ging zur Tür. Es war kein weiter Weg. Höchstens einige Meter. Noch bewegte er sich rückwärts, damit er die hinter der Scheibe stehende Frau sah. Sie war nicht dazu gekommen, einen Alarmknopf zu drücken, und eigentlich war für den Mann alles recht leicht gegangen. Er konnte sehr zufrieden mit sich sein.
Dass sich an der Glastür etwas bewegte, sah er nicht. Und auch nicht die Gestalt, die dort erschien. Sie war ganz in Schwarz gekleidet und erinnerte an einen düsteren Todesengel.
Die Tür schwappte auf.
Die Gestalt hatte freie Bahn.
Sie ging noch einen Schritt, dann hatte sie das Innere der kleinen Filiale betreten.
Genau in dem Augenblick war auch der Bankräuber misstrauisch geworden. Das fremde Geräusch ließ ihn auf der Stelle herumfahren.
Vor ihm stand eine Nonne!
Aber das war nicht alles. Mit den Fingern ihrer beiden Hände hielt sie zwei Gartenscheren fest…
***
Dieser Anblick war für den Bankräuber ebenso unwirklich wie für Kitty Hanks. Für so etwas gab es keine normale Erklärung. Der böse Albtraum hatte sich noch um einiges gesteigert. Während Kitty nichts mehr sagen oder von sich geben konnte, sah es bei dem Bankräuber anders aus. Er hatte seine Schrecksekunde schnell verdaut und war vor allen Dingen auf das Geld fixiert, das er nicht mehr aus den Händen geben wollte. Unter der Maske war ein Knurrlaut zu hören, dann zuckte die Hand mit dem Messer vor, und ein dumpf klingender Befehl durchbrach die Stille.
»Hau ab!«
Die Nonne schüttelte den Kopf.
»Verschwinde endlich!«
Unter der dunklen Haube zeichnete sich das Gesicht ab mit der sehr blassen Haut und den kaum zu erkennenden Lippen. Die ganze Gestalt wies eine Strenge auf, die bei einem Menschen gewissen Respekt hinterließ. Schon ihre Haltung deutete an, dass sie sich nicht so leicht übertölpeln lassen würde.
»Geh endlich!«
Der Bankräuber hatte den Befehl geschrien. Ein Zeichen dafür, dass er nervös geworden war.
Die Nonne schüttelte den Kopf.
»Dann nicht!« Der Mann riss sein Messer hoch. Er war bis an die Grenze gegangen. Nun aber kochte seine Wut über. Aus seinem Mund drang ein wilder Schrei, und er sprang auf die Nonne zu, die zunächst nichts tat, sich dann aber genau im richtigen Moment bewegte.
Ihre Arme schossen vor. Zugleich wurden sie hochgerissen, und die Gartenscheren waren länger als die Messerklinge.
Von zwei Seiten drangen sie in den Körper des Bankräubers. Er wurde zwischen Hüfte und Herzhöhe erwischt. Die Nonne gab noch mal Druck und trieb die zusammengeklappten Scheren noch tiefer in den Körper des Mannes, der dem nichts entgegenzusetzen hatte.
Sein Arm mit dem Messer fiel nach unten. Er stach sich die Klinge noch selbst in den rechten Oberschenkel, bevor er zusammenbrach.
Zwischen Tür und Kassentheke blieb er liegen.
Die Nonne hatte ihre Waffen wieder aus dem Körper gezogen. Sie hielt sie auch weiterhin fest. Dort, wo sich die beiden Hälften trafen und eine Spitze bildeten, tropfte das Blut zu Boden.
Der Bankräuber rührte sich nicht mehr. Er trug noch immer seine Maske. Nicht das leiseste Stöhnen war zu hören, und Kitty Hanks wurde erst jetzt richtig klar, dass ein Toter vor ihr lag. Es war etwas eingetreten, das sie sich nicht hatte vorstellen können, doch nun steckte sie mittendrin.
Und die Nonne war noch immer da!
Nonne? Nein, sie war mehr eine Mörderin, aber keine Nonne.
Nonnen taten so etwas nicht…
Dieser Gedanke beschäftigte Kitty Hanks. Trotzdem wusste sie, dass er falsch war. Sie hatte den Mord einer Nonne erlebt, und sie dachte daran, dass sie eine Zeugin war und die andere Seite auf keinen Fall eine Zeugin gebrauchen konnte. So etwas hatte sie gelesen und auch in den entsprechenden Filmen gesehen.
Kitty spürte sehr deutlich, dass sich in ihrem Innern der Druck verstärkte. Eine irrsinnige Angst hatte sie erfasst, die ihr den Schweiß aus den Poren trieb.
Die Nonne brauchte nur ein paar Schritte nach vorn zu gehen, um auch Kitty zu erreichen.
Sie tat es nicht. Ihr Verhalten war ein ganz anderes, von dem Kitty überrascht wurde.
Die Frau lächelte, und die Starre in ihrem Gesicht löste sich dabei auf.
Auf diese Weise bekam sie ein fast mütterliches Aussehen,
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