1495 - Jäger der Dunkelheit
eine Demonstration vor. Er wollte uns seine Macht beweisen, ging einen Schritt nach vorn und stieß sich vom Rand des Turms ab.
Es sah so aus, als wollte er sich in die Tiefe fallen lassen, aber eine Bewegung seiner Schwingen reichte aus, um ihn fliegen zu lassen, und das sah verdammt großartig und majestätisch aus.
Da er nicht auf uns zu flog, hatten wir das Vergnügen, ihm nachzuschauen. Er flog einfach in die Nacht hinein, nutzte den Schutz der Dunkelheit aus und war schließlich nicht mehr zu sehen.
»Das war’s«, sagte Bill.
»Meinst du?«
»Na ja, zumindest vorläufig.«
Ich nickte. »Ich denke, dass er sich uns wieder zeigen wird. Möglicherweise gemeinsam mit seinen Artgenossen. Ich gehe davon aus, dass er so etwas wie eine Vorhut gewesen ist. Falls dir etwas Besseres einfällt, kannst du es mir ja sagen.«
»Im Moment nicht.«
»Danke.«
Immer noch waren wir unschlüssig, wie wir uns verhalten sollten.
Wir hatten wieder mal etwas Unwahrscheinliches gesehen, was nicht in diese Welt hineinpasste. Mein Inneres sagte mir auch, dass man es nicht mit dem Vogelmädchen Carlotta vergleichen konnte.
Dieses Wesen war anders. Es war mir fremd und trotzdem irgendwie bekannt. Und genau dieser Gedanke wollte mich nicht mehr loslassen.
»Was grübelst du?«
»Ich denke an die Lösung.«
»Hast du sie gefunden?«
»Fast, Bill, fast. Es ist nur noch ein kleiner Schritt, dann weiß ich es.«
»Okay, ich störe dich nicht mehr. Ich halte mal den Himmel so gut wie möglich unter Kontrolle.«
»Nichts dagegen.«
Angegeben hatte ich nicht. Es war mir tatsächlich gelungen, sehr nahe an die Auflösung heranzukommen. Es war nur noch ein kleiner Schritt, dann konnte ich zupacken.
Vogelmensch!
Es ging um diesen einen Begriff, der mich nicht loslassen wollte.
Und das hatte wirklich nichts mit Carlotta zu tun. Ich musste in eine völlig andere Richtung lenken. Leider war ich bisher wie blockiert gewesen, doch dann sprang mich die Lösung förmlich an.
»Verdammt, das ist…«
Da ich nicht leise gesprochen hatte, war ich von Bill gehört worden, der sofort reagierte.
»Was ist es?«
»Die Lösung!«
Bill hatte sein Interesse an der Umgebung verloren. Jetzt schaute er nur mich an. Er musterte mich scharf und konnte es kaum glauben.
Ich wollte ihn nicht länger dumm lassen und sagte mit locker klingender Stimme: »Es gab die Vogelmenschen, und der Eiserne Engel war ihr Anführer. Damals in Atlantis…«
***
Jetzt schwiegen wir beide. Es war eine Theorie, eine Hypothese, worüber wir nachdenken mussten. Da ich mich schon mit dem Gedanken beschäftigt hatte, war Bill wesentlich erstaunter. Der Unglaube wollte zuerst nicht weichen. Dann nickte der Reporter.
»Richtig?« fragte ich.
»Ja, das könnte die Lösung sein«, gab Bill zu. »Die Vogelmenschen, die die Armee des Eisernen Engels bildeten. Das wäre eine Erklärung, wenn nicht alle getötet worden wären, denn damals kämpften sie gegen den Schwarzen Tod und seine auf Flugdrachen sitzenden Skelette, die letztendlich stärker waren und die Vogelmenschen vernichtet haben. Über diesen Verlust ist der Eiserne Engel nie richtig hinweggekommen.«
»Du hast trotzdem Zweifel?«
Bill gab es zu. »Ja, denn du weißt, dass selbst der Eiserne Engel glaubt, dass es keiner von seinen Freunden überlebt hat.«
»Kann es nicht trotzdem sein, dass einigen die Flucht gelungen ist und sie in einer magischen Zone den Untergang von Atlantis überlebt haben?«
»Das wäre eine Möglichkeit, und sie wären auch nicht die Ersten gewesen.«
»So ist es.«
»Dann frage ich mich, wo sie jetzt stehen.« Bill dachte schon einen Schritt weiter.
»Keine Ahnung.«
»Du setzt also nicht auf den Eisernen Engel?«
Mein Lächeln fiel schon schmerzlich aus. Ich dachte daran, wie lange ich nichts mehr von meinen atlantischen Freunden gehört hatte, zu denen auch der Eiserne Engel zählte, ebenso wie Myxin und Kara. Sie schienen nicht mehr vorhanden zu sein oder waren eingetaucht in das dunkle Grau der Geschichte.
»Ich weiß nicht, ob ich noch auf ihn setzen kann, Bill. Die Vogelmenschen können sich auch verändert haben. Vielleicht haben sie sich einen anderen Herrn gesucht, wie auch immer. Sie müssen nicht mehr auf der positiven Seite stehen. Es ist so viel Zeit vergangen.«
»Und was kannst du dir vorstellen, John?«
»Nichts, wenn ich ehrlich sein soll. Ich kann nur raten, aber das möchte ich nicht.« Ich deutete zum Himmel, obwohl sich niemand dort aufhielt. »Eine
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