15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
zwischen ihm und mir lag und ich seine Entfernung also gar nicht bemerken konnte.
Ich wartete ungefähr eine Viertelstunde, dann kehrte ich in die Stube zurück. Dort bat mich die Frau, ihrem Mann noch eine kleine Frist zu gestatten. Es sei ihm doch sehr schwer, einen Entschluß zu fassen, da er nicht wisse, wie er von Mosklan ohne Schaden loskommen könne.
Ich erfüllte ihr die Bitte und ging wieder hinaus. Dort wartete ich, bis ich gerufen wurde. Der Bäcker kam mir entgegen und sagte:
„Effendi, du hast recht; ich werde tun, was du mir geraten hast. Willst du den Sahaf holen?“
„Ja; ich reite sogleich.“
„Und willst du dann für heute und die nächsten Tage unser Gast sein?“
„Ich danke! Das ist unmöglich. Ich muß fort.“
„Wohin reitest du?“
„Weit fort, nach dem Abendland, wo meine Heimat ist.“
Daß ich dies sagte, war ein sehr großer Fehler, wie ich später erfahren sollte.
„So komme wenigstens jetzt in das Meharrem; dieses ist nur das Selamlük. Ich muß dir etwas zeigen.“
Er war so nachgiebig, und die beiden Frauen strahlten vor Glück. Ich konnte ihm die Bitte nicht abschlagen und trat mit ihnen in den zweiten Raum, welcher allerdings auch nicht viel anders ausgestattet war als der erste. Die Tochter entfernte sich auf einige Augenblicke und brachte einen Gegenstand, welcher in Werg eingeschlagen und mit Schnüren umwunden war.
„Rate, was das ist, Effendi?“ sagte er.
„Wer soll das raten können? Sage es.“
Er entfernte das Werg. Es kam eine Flasche zum Vorschein.
„Das ist der Saft der Weinbeere“, sagte er. „Darfst du ihn trinken?“
„Ich darf; aber laß ihn in der Flasche. Erquickt euch selbst damit.“
„Das ist uns verboten. Dieser Wein ist aus Griechenland. Ich erhielt ihn von einem Handelsmann und habe ihn aufgehoben, bis einmal jemand kommen werde, der ihn trinken darf.“
Ich blieb bei meiner Weigerung; das schien ihn zu kränken. Er besann sich eine Weile; dann sagte er:
„Wenn du ihn verschmähst, will ich ihn nicht länger bei mir haben. Tschileka, wollen wir ihn dem armen, kranken Saban geben?“
Sie stimmte sofort bei und fragte ihn, ob sie nicht auch ein wenig Gebäck beifügen solle. Er erlaubte es ihr und wendete sich dann an mich:
„Aber, Effendi, wenn der Arme diese Gabe bekommen soll, mußt du uns einen Gefallen tun!“
„Gern, wenn ich kann. Wer ist dieser Saban?“
„Er ist Zeit seines Lebens Besenbinder gewesen, jetzt aber gar ein Bettler geworden, da er krank ist und nicht mehr arbeiten kann. Er lebt von der Wohltätigkeit derjenigen, welche Allah mit Nahrung gesegnet hat.“
„Ja, er ist ein Bettler und erhält von uns zuweilen eine Gabe“, wiederholte die Tochter. „Er wohnt in einer Hütte mitten im Wald, auf halbem Wege zwischen hier und Kabatsch.“
Schon die Wiederholung mußte mir auffallen, noch mehr aber der Ton, in welchem diese Worte gesprochen worden. Sie war dem Vater hastig in die Rede gefallen; ich merkte, daß sie meine Aufmerksamkeit auf sich lenken wollte. Sie stand seitwärts hinter dem Bäcker, und als ich nun zu ihr hinblickte, erhob sie warnend den Zeigefinger der rechten Hand, ohne daß ihr Vater es sah.
„Was ist es für ein Wald?“ fragte ich in unbefangener Weise.
„Es sind lauter Eichen und Buchen“, antwortete der Bäcker. „Nur zuweilen befindet sich eine Tanne oder eine Zypresse darunter. Soll ich dir den Weg vielleicht genau beschreiben?“
„Ich bitte dich darum.“
„Du reitest von hier aus nach Südwest, immer den Wagengleisen nach, welche dich zur hohen Ebene führen. Dort gehen diese Gleise nach Süden ab, in der Richtung von Terzi Oren und Ireck; aber du wirst Spuren finden, welche dich rechts nach einem Bach bringen, welcher unterhalb Kabatsch in den Söüdlü fließt. Nicht weit von der Stelle, an welcher du diesen Bach erreichst, befindet sich ein freier Platz, an dessen Rand die Hütte des Sabans liegt.“
„Dort wohnt er allein?“
„Ja.“
Ein Bettler und so allein im Wald, das war auffallend. Dazu das Benehmen der Tochter. Ich hatte jedenfalls Veranlassung, sehr vorsichtig zu sein.
„Und du meinst, daß ich ihn antreffen werde?“ erkundigte ich mich.
„Ja. Er kann nicht ausgehen, wie ich gehört habe. Er soll krank sein. Deshalb sende ich ihm die Gaben.“
„Und welchen Gefallen meintest du vorhin, den ich dir da tun soll?“
„Würdest du diese Sachen mitnehmen, um sie ihm zu bringen?“
„Gern; packe sie mir ein!“
Er tat dies. Unterdessen
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