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15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

Titel: 15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Argwohn, welchen ich gehegt hatte, in mir verschwinden. Ich hielt meinen Rappen an und fragte:
    „Wie heißt dieser Bettler?“
    „Saban.“
    „Ist er nicht Besenbinder gewesen?“
    „Ja.“
    „So muß ich auf einen Augenblick zu ihm hin. Ich habe ihm eine Gabe zu überbringen.“
    „Tu es! Er kann es brauchen. Ich reite einstweilen langsam weiter, immer am Bach dahin. Du kannst mich, wenn du mir dann folgst, gar nicht verfehlen.“
    Er ritt wirklich weiter. Wäre er gleichfalls abgestiegen, so hätte mich dies veranlaßt, meine Vorsicht zu verdoppeln. Jetzt fühlte ich mich beruhigt. Ich ritt also zu der Hütte hin und einmal um sie herum, um zu sehen, ob sich vielleicht jemand in der Nähe befände.
    Die Eichen und Buchen standen, obgleich sich ihre Äste berührten, so weit auseinander, daß ich zwischen den mächtigen Stämmen hindurch tief in den Wald hineinzublicken vermochte. Ich fand nicht die Spur eines menschlichen Wesens.
    Fast schämte ich mich, Argwohn gehegt zu haben. Ein armer, kranker Bettler – was konnte er mir tun! Einen Hinterhalt gab es nicht, wenigstens nicht in der Umgebung der Hütte; davon glaubte ich, überzeugt sein zu dürfen. Hatte ich ja noch Grund zu Befürchtungen, so konnte die Veranlassung dazu nur im Innern des armseligen Bauwerkes zu suchen sein, und da war es nicht schwer, der Gefahr zu entgehen.
    Ich stieg vor der größeren Öffnung, in welcher sich gar keine Tür befand, vom Pferd, band es aber nicht an, um nötigenfalls sofort aufsitzen und davonreiten zu können. Den Revolver schußfertig in der Hand, so trat ich langsam ein.
    Die Vorsicht weiter zu treiben, schien gar nicht möglich zu sein, und – sie war auch gar nicht nötig, wie ich mich beim ersten Blick überzeugte.
    Das Innere der Hütte bildete einen einzigen Raum, welcher so niedrig war, daß ich mit dem Kopf fast an die Decke stieß. Ich sah einen geschwärzten Stein, welcher jedenfalls als Herd diente, mehrere entfleischte Ochsen- und Pferdeköpfe, welche wohl die Sessel bildeten, und in der linken hinteren Ecke ein aus Laub bestehendes Lager, auf welchem eine bewegungslose menschliche Gestalt lag. Daneben auf der Erde ein Topf, eine zerbrochene Flasche, ein Messer und einige andere, armselige Kleinigkeiten – das war alles, was die Hütte enthielt. Was sollte hier für mich zu befürchten sein?
    Ich holte das Paket herein und näherte mich mit demselben dem Lager. Der Mann rührte sich noch immer nicht.
    „Güniz chajir ola – guten Tag!“ grüßte ich laut.
    Da drehte er sich langsam zu mir herum, starrte mich an, als ob ich ihn aus dem Schlaf geweckt hätte, und fragte:
    „Ne istersiz sultanum – was befehlen Sie, mein Herr?“
    „Ad-in Saban – dein Name ist Saban?“
    „Basch üstüne sultanum – zu Befehl, mein Herr!“
    „Bojadschyjü Boschak tanimar-sen – kennst du den Färber Boschak?“
    Da richtete er sich erfreut in sitzende Stellung empor und antwortete:
    „Pek ei sultanum – sehr wohl, mein Herr!“
    Dieser Mensch sah wirklich sehr krank und elend aus. Er trug nur Lumpen auf dem Leib und schien ein fleischloses Gerippe zu sein. Seine Augen waren begierig auf das Paket gerichtet, welches ich in der Hand hielt.
    „Er sendet dir Wein und Backwaren.“
    Bei diesen Worten kniete ich mitleidig an seinem Lager nieder, um das mit Bast umwickelte Paket zu öffnen.
    „O Herr, o Herr, wie gut du bist! Ich habe Hunger!“
    Seine Augen waren flammend auf mich gerichtet. War das wirklich Hunger, oder war es etwas anderes, für mich gefährliches? Ich hatte keine Zeit, diesen Gedanken auszudenken. Hinter mir gab es ein Geräusch. Ich wendete den Kopf. Zwei, vier, fünf Männer drängten sich durch die Türöffnung. Der vorderste hatte die Flinte verkehrt, wie zum Schlag, in der Hand. Er sprang auf mich zu.
    Ich riß den Revolver heraus und – schnellte empor? – Nein, ich wollte mich emporschnellen; da warfen sich die langen, dürren Arme des Bettlers wie die Fänge eines Meerpolypen um meinen Hals und rissen mich wieder nieder. Ich weiß nur noch, daß ich den Lauf des Revolvers schnell nach dem Kopf des verräterischen Alten richtete und losdrückte – zielen aber konnte ich nicht. Dann erhielt ich von hinten einen fürchterlichen Schlag auf den Kopf.
    Ich war gestorben; ich besaß keinen Körper mehr; ich war nur Seele, nur Geist. Ich flog durch ein Feuer, dessen Glut mich verzehren wollte, dann durch donnernde Wogen, deren Kälte mich erstarrte, durch unendliche Wolken-

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