15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
ging die Tochter hinaus und gab mir dabei einen verstohlenen Wink. Ich folgte ihr nach und traf sie hinter dem Hause.
„Du hast mir etwas zu sagen?“ fragte ich.
„Ja, Effendi. Ich warne dich.“
„Vor wem und warum?“
„Dieser Bettler ist kein guter Mensch. Nimm dich vor ihm in acht.“
„Denkst du, daß dein Vater eine böse Absicht gegen mich hegt?“
„Ich weiß gar nichts. Ich muß nur sagen, daß ich den Bettler nicht liebe, weil er ein Feind des Sahaf ist.“
„Hm! Deine Mutter wollte mir etwas für diesen letzteren mitgeben. Dein Vater sollte nichts davon wissen.“
„Das hat sich erledigt, Effendi. Sie hat dir nicht sofort sagen wollen, daß es eine Botschaft ist. Er sollte –“
Sie stockte errötend und blickte zu Boden.
„Nun, was sollte er denn, holde Ikbala?“
„Er sollte heute abend – zur – – – zur Mutter kommen.“
„Zur Mutter? Aber nicht in eure Wohnung?“
„Nein, Effendi.“
„Wohin denn?“ fragte ich in allerdings zudringlicher Weise mit dem größten Ernste.
„Er sollte draußen am Wasser warten.“
„So, so! Deine liebe Mama pflegt also dem Sahaf zuweilen ein kleines Stelldichein zu geben?“
„Ja“, antwortete sie so naiv ernst, daß ich nun doch lachen mußte.
„Und du bist wohl die Beschützerin dieser schönen Zusammenkünfte?“ fragte ich.
„O, Effendi, du weißt wohl recht gut, daß er nicht zur Mutter kommt, sondern zu mir!“
„Ja, ich kann es mir wohl denken. Und da ich ihn heute zu euch bringen will, so braucht deine Mutter mir nun die Botschaft nicht zu geben, welche für ihn bestimmt war?“
„So ist es, Effendi. Dein Vorhaben ist so gut; es erfüllt mein Herz mit Freude. Allah gebe, daß es gelingt!“
„Es wird auch den Sahaf mit Freude erfüllen. Er hat dich, als ich mit ihm sprach, die Schönste in Rumili genannt, und so – – –“
„Ist das wahr?“ fiel sie mir hastig ins Wort.
„Ja, so sagte er.“
„O, er ist ein großer Schmeichler und Übertreiber.“
„Nein, er hat nicht übertrieben. Du bist noch süßer als der Most, welchen du bereitest. Aber du sagtest, Allah möge geben, daß mein Vorhaben gelinge. Kannst du noch im Zweifel sein? Dein Vater hat doch seine Zustimmung gegeben!“
„Dir hat er sie gegeben; aber es kommt mir vor, daß er es nicht ernstlich meint. O, Effendi, ich ahne eine Gefahr. Beschütze meinen Sahaf!“
„Was könnte ihm denn drohen?“
„Ich weiß es nicht; aber du und er, ihr habt euch sehr in acht zu nehmen, und ich würde viele, viele Tränen vergießen, wenn ihm ein Leid geschähe.“
„Ihm! Um mich aber würdest du wohl nichts vergießen?“
„Du bist ja fremd!“
Sie sagte das so aufrichtig, und das war so spaßig, daß ich herzlich lachen mußte.
„Na“, erwiderte ich, „wenn du nur um ihn weinst, so sage wenigstens deiner Anajah, daß sie, falls uns ein Unglück geschieht, auch um mich zwei oder drei Tränentropfen vergießen möge. Jetzt aber gehe wieder hinein, damit dein Vater nicht bemerkt, daß wir heimlich miteinander gesprochen haben. Auch ich traue ihm nicht.“
„Effendi, ich werde dich von weitem beschützen!“
Sie ging. Ihre Worte schienen mir ganz ohne Sinn zu sein; doch erfuhr ich später, daß es ihr doch möglich geworden war, dieses Versprechen zu halten.
Ich band mein Pferd los und wartete. Nach kurzer Zeit kam der Bäcker und brachte mir die für den Bettler bestimmten Gaben.
„Wo ist dein Weib und deine Tochter?“ fragte ich so obenhin, ihn dabei aber verstohlen beobachtend. „Soll ich nicht von ihnen Abschied nehmen?“
„Du kommst ja wieder, Herr“, antwortete er.
Dabei glitt es so verschlagen und schadenfroh über sein fettes Antlitz, daß ich ihm sogleich die Hand auf die Achsel legte und im ernsten Ton sagte:
„Meinst du, ich bemerke nicht, daß deine Worte eine Ironie enthalten?“
Sofort nahm sein Gesicht den Ausdruck erstaunter Aufrichtigkeit an. Er blickte mich kopfschüttelnd an und sagte:
„Ich verstehe dich nicht. Ich will doch nicht hoffen, daß du mich für einen Lügner hältst?“
„Hm! In meinem Heimatland gibt es ein Sprichwort, welches sagt, daß man keinem Menschen trauen soll, der geschlitzte Ohren besitzt.“
„Beziehst du das auf mich?“ fragte er im Ton des Gekränkten.
„Ich sehe, daß du einen Schlitz an jedem Ohr hast.“
„Das ist kein Zeichen, daß ich dich täusche. Früher waren meine Ohren unversehrt. Ich bin ein Bekenner des Propheten und schwöre dir beim Barte Mohammeds,
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