1505 - Dorina, die Friedensstifterin
Phasen zu überwinden, sondern das gleiche galt auch für Warna. Sie hatte sich schon von Anfang an eingebildet, daß Dorina etwas Besonderes sei.
Segur hatte keine Ahnung, wie Warna darauf gekommen war, solche hochgestochenen Ideen zu entwickeln.
Weder in ihr, noch in Segurs Familie hatte es jemals einen Schlichter, geschweige denn einen Friedensstifter gegeben. Sie alle waren seit Generationen einfache Linguiden gewesen, die einfache Tätigkeiten ausübten.
Und das ist nichts, wofür wir uns schämen müßten! dachte Segur Vaccer. Auch Friedensstifter müssen essen und trinken und sich kleiden. Ich möchte mal wissen, wie sie das tun wollen, wenn es uns Bauern nicht gäbe!
Ohne uns könnten sie mit all ihren schönen Reden nicht das geringste anfangen!
Und außerdem hatte Warna sich glücklicherweise geirrt, denn Dorina war völlig normal.
Absolut normal! dachte er bekräftigend. Aber irgendwo im Hintergrund seiner Gedanken fügte eine lästige kleine Stimme zweifelnd hinzu: Hoffentlich ...
Er trat aus dem Schatten hervor und stapfte durch das dürre Gras. Dorina sah zu ihm auf. Ihre grünen Augen funkelten im Sonnenlicht, und die Linien unter dem feinen Samt ihrer Gesichtsbehaarung bildeten ein lustiges Netz um ihre Augen und ihren Mund herum.
Segur betrachtete seine Tochter voller Zärtlichkeit. Auch wenn es manchmal nicht so schien - sie war noch immer ein Kind. Gelegentlich benahm sie sich auch so. Er mochte das sehr. Ab und zu schlich sich allerdings ein Gedanke bei ihm ein, den er jedesmal voller Abscheu von sich wies: Wenn sie sich wie ein Kind benahm - tat sie es dann vielleicht nur deshalb, weil sie wußte, wie sehr er sich darüber freute? „Was hast du mir mitgebracht?" fragte sie neugierig. „Gebratene Autras!" erklärte Segur scherzhaft. Er hielt ihr das Päckchen hin, das Warna ihm mitgegeben hatte.
Dorina wickelte ihr Mittagessen aus: Gebratenes Fleisch und Tomaten. In Gurmayon hätte man dafür ein kleines Vermögen zahlen müssen. Das Leben auf der Farm hatte seine unbestreitbaren Vorteile.
Segur ließ sich auf einem Stein nieder und sah Dorina beim Essen zu. Er kämpfte mit einer Frage, die ihm nur schwer über die Lippen kam. „Hat er dir schon geantwortet?" fragte er schließlich in einem möglichst unverfänglichen Tonfall und deutete auf den Kima-Strauch. „Nein", antwortete Dorina mit vollem Mund.
Ihm fiel ein Stein vom Herzen.
Er fragte sich, was er getan hätte, wenn ihre Antwort anders ausgefallen wäre. „Warum hast du ihn nicht neben das Haus gepflanzt?" fragte sie. „Dein Name bedeutet so viel wie ›Licht auf dem Hügel‹", erklärte Segur. „Also steht dein Kima-Strauch hier oben. Es war der beste Platz für ihn."
„Ist es ihm hier nicht zu trocken?"
„Nein. Für einen Kima-Strauch reicht das Wasser fast überall. Er braucht einen guten Partner - alles andere ist nicht so wichtig. Und der Partner dieses Kima-Strauches hier bist nur du. Ich wette, daß einmal ein großer Baum aus ihm wird."
„Ich möchte, daß er es gut hat. Was muß ich tun, damit er wächst und blüht?"
„Du kannst auf deine Gesundheit achten. Das ist auch schon alles."
„Ob er es wohl mag, wenn ich ihn besuche?"
„Das weiß ich nicht. Ich glaube, das ist ihm ziemlich egal. Er wird wachsen und blühen, ob du nun neben ihm stehst oder nicht."
„Warum pflanzt man Kima-Sträucher?"
„Hat der Lehrer dir das nicht erklärt?"
„Nein."
„Dann frage ihn."
„Er mag keine Fragen, die nicht in sein Programm passen. Ich glaube, er ist nicht richtig eingestellt. Er ist zu langsam. Er behandelt mich wie ein kleines Kind."
Segur betrachtete seine Tochter, dann das Gewächs. „Man pflanzt einen Kima-Strauch, wenn ein Linguide geboren wird", sagte er gedehnt. „So ist es immer gewesen, und so wird man es auch noch in ferner Zukunft tun."
„Ist es wahr, daß ich sterben muß, wenn der Strauch stirbt?"
„Wer hat dir das erzählt?" fragte Segur erschrocken, denn dies war etwas, was man den Kindern erst mitteilte, wenn sie ein gutes Stück älter waren. „Gatour."
Gatour war der Sohn des Düngemeisters. „Wie kommt Gatour dazu, mit dir über Kima-Sträucher zu sprechen!"
„Ich habe ihn unten am Bach gesehen", berichtete Dorina. „Sein Strauch steht ganz dicht am Wasser. Er hat viele Blätter, aber keine Blüten, und seine Zweige sehen komisch aus. Gatour hat ihm Dünger gegeben. Ich habe ihn gefragt, warum er das macht. Gatour hat es mir erklärt: Er hat Angst, daß er sterben muß,
Weitere Kostenlose Bücher