1510 - Der Hexenbrunnen
abgebremst wurde.
Das vordere Rad stellte sich quer. Die Maschine gehorchte jetzt anderen Gesetzen, und für die Person, die auf ihr saß, traf das Gleiche zu.
Justine wusste nicht mehr, wo vorn oder hinten war. Haltlos schleuderte sie durch die Luft, und wie eine Ertrinkende die letzte Chance in einem Balken sah, klammerte sie sich an den beiden Griffen des Lenkers fest, als wäre das die Rettung.
Doch die gab es nicht mehr!
Die Maschine verlor zwar nicht den Kontakt zu Straße, aber sie kippte um. Dabei fiel sie auf die rechte Seite. Den Aufprall bekam Justine mit, und sie war froh, eine dicke Lederjacke zu tragen.
Mit ihr rutschte sie über die Fahrbahn hinweg.
Alles lief innerhalb weniger Sekunden ab.
Justine fegte in das Unterholz hinein, nachdem sie sich mit der Maschine gedreht hatte.
Sie ließ die BMW jetzt los und hörte das Krachen, als ihr Feuerstuhl eine Schneise ins Gebüsch schlug, und sie folgte sofort danach.
Die Straße hatte an den Seiten keine Gräben. Übergangslos begann der Wald und damit auch das Unterholz. In diesen natürlichen Wall fegte sie hinein.
Justine hatte sich zusammengekrümmt. Sie wollte so wenig Widerstand wie möglich bieten. Der Helm saß zum Glück noch fest auf ihrem Kopf.
Durch ihr Tempo und auch ihr Gewicht fetzte sie die Büsche auseinander. Justine rutschte über den Boden hinweg, sie drehte sich dabei und prallte dann mit den Füßen zuerst gegen ein Hindernis, das sie nicht aus dem Weg räumen konnte. Noch mal wurde sie zur Seite geschleudert, schlug mit dem Rücken gegen einen harten Widerstand, der ein dicker Baumstumpf war.
Hier war ihre Reise beendet. Starr und wie weggeworfen blieb sie liegen, umgeben von einer Stille, in der nichts mehr zu hören war. Auch nicht der Motor ihrer BMW.
Aber nicht die Natur hatte zugeschlagen. Sie spannte keine Seile über die Fahrbahn. Es war jemand anderer gewesen, und den wollte Justine finden…
***
Zunächst passierte nichts, und so konnte sich die Blutsaugerin erst einmal in Ruhe mit sich selbst beschäftigen. Sie war froh, das zu sein, was sie war, und kein normaler Mensch. Wäre sie das gewesen, hätte es anders bei ihr ausgesehen.
Okay, die Lederjacke hatte einiges abgehalten, aber nicht alles.
Gebrochen war wohl nichts, darauf setzte sie, aber ein Mensch hätte höllische Schmerzen verspürt, und das war bei ihr nicht der Fall.
Der verdammte Seiltrick hatte sie böse erwischt und tief in das Unterholz geschleudert, aber der Helm war ihr nicht vom Kopf gerissen worden, und so hatte sie auch dort keine Wunden oder Blessuren davongetragen. Justine Cavallo lag einfach nur da!
Und sie hütete sich davor, sich zu bewegen. Sie glaubte fest daran, dass noch etwas folgen würde. Wenn das der Fall war, wollte sie in die Offensive gehen.
Noch hieß es warten, Zeit vergehen lassen, was ihr nicht schwerfiel, denn sie besaß die Geduld einer Raubkatze, die sich an ihre Opfer heranschlich, um im richtigen Moment zuzuschlagen.
Justine war auf dem Rücken in das Unterholz hineingeschleudert worden. Dann kam der Stopp, und jetzt lag sie auf der linken Seite. Der Helm hatte sich auf ihrem Kopf etwas verkantet, sodass er jetzt schief saß, aber das wollte sie so lassen, auch wenn es sie beeinträchtigte. Sie wusste nicht, ob sie unter Beobachtung stand, und sie wollte deshalb nicht den Eindruck erwecken, als ob sie den Sturz unbeschadet überstanden hatte.
Die Zeit kann sich hinziehen, wenn man auf etwas Bestimmtes wartet.
Das war auch bei ihr so, aber sie fasste sich in Geduld und bewegte hinter dem noch immer nach unten geklapptem Visier nur ihre Augen.
Sie blinzelte, dann lächelte sie und dachte daran, dass sie so leicht nicht auszuschalten war. Sie würde zurückschlagen, wenn sich die Chance ergab, und sie freute sich schon jetzt auf das Blut desjenigen, in dessen Falle sie gerast war.
Die Straße, die durch den Wald führte, war wohl für die Einsamkeit gedacht, denn kein weiteres Verkehrsmittel passierte sie. Stille umgab die Blutsaugerin wie eine Glocke, denn durch den Helm drangen die Geräusche des nächtlichen Waldes nur schwach an ihre Ohren.
Abwarten, denn irgendwann musste etwas passieren. Es gab keinen Herzschlag in ihrer Brust, kein menschliches Gefühl erzeugte eine Gänsehaut, und trotzdem verspürte die Cavallo die gleiche Spannung in sich wie ein normaler Mensch.
Nach einer Weile war sie es leid. Ihre Hände glitten hoch zum Helm und bekamen ihn an zwei Seiten zu fassen. Er saß locker, doch um ihn
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