1510 - Der Hexenbrunnen
besonders dick, und deshalb fing sie sofort an zu frieren. Durch ihren Kopf wirbelten die Gedanken, die sich ausschließlich mit dem beschäftigten, was sie gesehen hatte.
Erin lief in den Garten. Ihr Mann und sie hatten kleine Plattenwege angelegt. Einer dieser Wege führte bis an den Zaun heran und endete ungefähr dort, wo das Bündel lag, das die Fremden dort hingeworfen hatten.
Je näher sie ihm kam, umso mehr steigerte sich ihre Angst. Sie schluckte bitter schmeckenden Speichel und spürte dicke Schweißperlen über ihre Stirn rinnen. Der Puls pochte heftig in ihren Schläfen, und die letzten drei Schritte ging sie zögerlicher.
Das längliche Bündel lag recht günstig, denn es wurde vom Licht, das aus der Hautür fiel, erreicht. Der Gegenstand war in eine dunkle Decke eingepackt, und die Umrisse darunter waren gut zu erkennen.
Das war ein weiterer Schock für sie.
Sie waren menschlich!
»Nein«, flüsterte sie, »nein, das ist doch nicht möglich. Das kann nicht wahr sein.«
Aber es stimmte. Sie musste die Umrisse nicht erst mit ihren Händen abtasten.
Sie bückte sich.
Was in den folgenden Sekunden geschah, bekam sie gar nicht richtig mit. Es lief alles wie ein Film ab. Sie schlug die Decke auseinander, was kein Problem war, und dann erkannte sie mit einem Schlag die ganze Wahrheit.
Sie, starrte hin, sie glaubte, nicht mehr sie selbst zu sein, und über ihre Lippen drangen Geräusche, die wenig mit menschlichen Lauten zu tun hatten. Es war furchtbar und schlimmer als alle Albträume, die sie jemals gehabt hatte.
Aber es stimmte. Vor ihr lag ein Toter. Es war Bruce, ihr Mann!
***
Die Zeit schien für Erin Kendall stehen geblieben zu sein. Es war so unwirklich, so schrecklich. Vor einigen Stunden hatte ihr Mann noch gelebt, jetzt war alles vorbei.
Das fasste sie nicht. So etwas las man nur in den Zeitungen oder hörte es im Fernsehen. Nie hätte sie gedacht, dass sie einmal selbst davon betroffen sein würde.
Dann wurde ihr bewusst, dass Bruce tatsächlich nicht mehr lebte, dass er umgebracht worden war und man ihn einfach wie einen Sack Abfall entsorgt hatte.
Dies zu wissen war für die Frau ein Schock. So hart, dass sie nicht mehr in der Lage war, sich auf den Beinen zu halten. Man schien ihr eine unsichtbare Stange ins Kreuz gedrückt zu haben, die dafür sorgte, dass sie in die Knie sackte.
Beinahe wäre sie noch auf den toten Körper gefallen. Im letzten Augenblick zog sie ihre Beine zurück, atmete tief ein und zischend wieder aus.
Wie lange sie in der Kühle der Nacht gekniet hatte, konnte sie nicht sagen. Sie kam irgendwann wieder zu sich, und sie wunderte sich auch darüber, dass sie nicht weinen konnte. Da gab es einfach keine Tränen, die aus ihren Augen quollen. Ihr Blick war sogar ungewöhnlich klar, als wollte er ihr jede Einzelheit vor Augen halten.
Und die sah sie. Fast wie durch die Gläser einer scharfen Brille, und die Straßenlampe in der Nähe gab genügend Licht ab, dass alles deutlich zu erkennen war.
Es war Wahnsinn und einfach ungeheuerlich, was sie da sah.
Ihr Mann trug keinen Fetzen Stoff am Leib. Er war völlig nackt.
Aber das allein war es nicht, was Erin Kendall trotz ihres Schockzustands zum Nachdenken brachte.
Nicht die Nacktheit ihres Mannes verwirrte sie, das auf keinen Fall. Es war sein Körper, dessen Aussehen sie frösteln ließ. Bei ihm als Toten hätte die Haut normal sein müssen. Und genau das war sie nicht. Sie zeigte nicht mehr den hellen Ton, den sie kannte, mit ihr war etwas ganz anderes geschehen. Die Haut sah verbrüht aus. Rötlich oder leicht rosa.
Unterschiedlich dunkel. Aber sie sah noch etwas, und das versetzte ihr einen weiteren Schock.
An bestimmten Stellen der Haut entdeckte sie bläuliche Tätowierungen.
Sie wollte es erst nicht glauben, denn ihr Mann hatte noch am gestrigen letzten Abend kein Tattoo besessen, aber jetzt waren die drei Stellen nicht zu übersehen. Die verteilten sich auf der Brust des nackten Körpers. Und sie waren so angeordnet, dass sie ein Dreieck bildeten.
Wären es Striche oder Punkte gewesen, dann hätte sich Erin Kendall kaum Gedanken darüber gemacht. Aber das war nicht der Fall. Keine Striche, keine Punkte. Das hier war etwas ganz anderes. Sie bezeichnete es als Fratzen, und beim näheren Hinsehen kam ihr noch ein anderer Vergleich in den Sinn.
So hatte sie mal in einem Magazin den Teufel abgebildet gesehen. Als eine dreieckige Fratze, stets dunkel, stets auf eine bestimmte Weise verzerrt, mit
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