1523 - Das Projekt
antwortete Ruddy. „Wir wissen ungefähr, wo er sich tagsüber ausruht. Wir machen ein bißchen Lärm. Das schreckt ihn auf. Er greift uns an. Wir schießen ihn ab. Aus und fertig."
Tashu schüttelte sich. „Ich mag es nicht, wenn du so über das arme Tier redest. Es ist ein Produkt der Natur.
Woher nehmen wir das Recht, es zu töten?"
„Aus der Erkenntnis, daß das Biest uns umbringen wird, wenn wir es nicht rechtzeitig unschädlich machen", sagte Ruddy. „Erinnerst du dich noch an die Tage, als wir die Siedlung einrichteten? Wie viele von uns gingen damals verloren?"
„Ich erinnere mich", antwortete Tashu traurig. „Es hat mir zu denken gegeben. Vielleicht hätten wir gar nicht erst hierherkommen sollen."
Ruddy McInerny blickte durch die Verglasung der Gleiterkanzel. Derselbe Gedanke, allerdings aus anderen Gründen, war ihm schon des öfteren durch den Kopf gegangen. Sie alle - alle zweitausend, die vor zwei Jahren voller Begeisterung ausgezogen waren, um die Wunder einer konvertierenden Sonne aus der Nähe zu studieren - hatten gewaltige Opfer gebracht. Sie hatten die Unbilden einer ungastlichen Natur auf sich genommen. Sie hatten auf gesellschaftliche Kontakte verzichtet. Sie hatten sich vom Rest der galaktischen Gemeinschaft abgekapselt, weil es ihr Ehrgeiz war, allein das Geheimnis der Sonnenkonversion zu enträtseln.
Er schaute in Richtung des kleinen, grellen Punktes der fremden Sonne, der sich über den Bergen im Osten rasch in den eisblauen Himmel hinaufschob, und fragte sich, ob die,Mühe sich wirklich lohnte.
Kymran war ein alter Stern. Den Wasserstoff, den er für den Prozeß der thermonuklearen Fusion benötigte, hatte er längst verbraucht. Vor zehntausend Jahren war Kymran ein düsterrotes Licht gewesen, das in sich zusammenstürzte, weil der Strahlungsdruck, der aus dem Innern kam, dem Sog der Gravitation nicht mehr die Waage halten konnte. Kymran besaß nur 60 Prozent der Masse Sols. Der Kollaps war nicht so gewalttätig gewesen wie in den Fällen massiverer Sterne, die zu Nova, Supernova oder gar zu Schwarzen Löchern wurden.
Kymran hatte sich zusammengezogen, und infolge der Kontraktion wuchsen im Sonnenkern die Drücke und stiegen die Temperaturen - bis schließlich ein neuer Fusionsprozeß in Gang kam. Wasserstoff war so gut wie nicht mehr vorhanden. Von jetzt an produzierte die Sonne Kymran Kohlenstoff und Sauerstoff aus Helium.
Dieser Prozeß war erst vor astrophysikalisch kurzer Zeit in Gang gekommen: vor dreitausend Jahren etwa. Im Augenblick besaß Kymran fast den Status eines Weißen Zwerges, mit einer Oberflächentemperatur von über 10 000 Grad und einem Durchmesser von 85 000 Kilometern. Im Lauf der kommenden Jahrtausende würde der Strahlungsdruck den Zwerg wieder aufblähen und vorübergehend von neuem zu einer Sonne herkömmlicher äußerer Erscheinung machen.
Dafür jedoch interessierten sich die zweitausend Astrophysiker und Kosmologen nicht, die vor zwei Jahren nach Quorda gekommen waren. Sie kannten die Theorie, die besagte, daß ein Stern in der Übergangsphase zwischen zwei thermonuklearen Zyklen bedeutende Mengen an hyperenergetischer Strahlung in bisher wenig erforschten Frequenzbereichen von sich gebe. Sie waren gekommen, um ebendiese außergewöhnliche Hyperstrahlung zu messen, aufzuzeichnen und zu analysieren. Sie versprachen sich von ihren Bemühungen nicht nur eine Erweiterung des Wissensumfangs der Kosmologie und der Astrophysik, sondern darüber hinaus Nutzanwendungen in der Technik des Alltags.
Alles schön und gut, dachte Ruddy McInerny, aber muß ich unbedingt dabeisein? Er fragte sich, ob man ihn dafür, daß er sich wünschte, wieder zu Hause zu sein, und als Gegenleistung gerne anderen den Ruhm der Entdeckung überlassen wollte, einen Heuchler nennen könnte. Während der Gleiter in ruhigem Flug dem südlichen Ende des Tales zustrebte, blickte er nach beiden Seiten und nahm das Bild der Berge in sich auf. Sie waren bis zu den Gipfeln hinauf von dichter Vegetation bestanden, auf deren Ästen, Zweigen, Blättern und Nadeln die Kälte der Nacht glitzernden Rauhreif abgelagert hatte. Es war ein wundervoller Anblick, ein Gestalt gewordener Weihnachtstraum. Aber Ruddy fröstelte, wenn er daran dachte, wie die Kälte ihn in die Nase beißen würde, sobald er aus dem Fahrzeug stieg.
Er war weiß Gott nicht im wärmsten Teil der Erde aufgewachsen. Aber letzthin erinnerte er sich mit wachsender Wehmut an die paar Sommertage, die so heiß gewesen waren,
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