1564 - Wenn die Toten sprechen
sie leise sprach.
»Das kann ich noch immer nicht fassen. Es ist so etwas Wunderbares und Einmaliges. Ich bin doch immer noch die Gleiche, und doch komme ich mir so anders vor.«
»Sicher, meine Liebe«, sagte ich, »das muss auch so sein. Sonst hätte es keinen Sinn.«
Maria schien einen innerlichen Schub erhalten zu haben, und der tat ihr gut. Es sah so aus, als hätte sie sich auf die Zehenspitzen gestellt. Sie war durch den Besitz des Kreuzes an innerlicher Größe gewachsen. Das gab ihr Mut. Das gab ihr Selbstvertrauen, und das musste sie auch haben, um ihre schwere Prüfung bestehen zu können.
Maria konnte den Blick nicht von meinem Talisman lösen. Sie schüttelte den Kopf und murmelte wieder: »Ich - ich - kann es einfach nicht glauben. Ich fühle mich so wohl.« Dann fragte sie: »Kann es sein, dass von diesem wunderbaren Kreuz ein Kraftstrom ausgeht, der alles Böse in mir verdrängt? Ist das wirklich möglich? Oder bilde ich mir das nur ein?«
Da mir das Kreuz gehörte, gab ich die Antwort.
»Nein, meine Liebe, ich weiß, dass es so ist, dass du dich voll und ganz darauf verlassen kannst.«
Plötzlich zauberte ein Lächeln Glanz auf ihr Gesicht. Es war für Suko und mich der Beweis, dass sie sich dazu durchgerungen hatte, mit dem Kreuz auf den Friedhof zu gehen.
»Ich fühle mich gut. Ich - ich - fühle mich so beschützt und ich will meiner Aufgabe nachkommen.«
»Das haben wir gehofft«, sagte Suko.
»Aber was ist mit euch?«
Ich winkte ab. »Darüber musst du dir keine Sorgen machen. Wir werden dich nicht aus den Augen lassen. Nur musst du uns noch beschreiben wie wir den Friedhof von hier aus erreichen können.«
»Das ist nicht schwer«, erklärte sie.
Nach zwei Minuten wussten wir Bescheid und hatten auch erfahren, dass wir den Wagen nicht benötigten. Der Weg zu Fuß war nicht weit.
»Dann - dann gehe ich jetzt, nicht?«
Wir hatten nicht dagegen. Allerdings gab ich ihr noch den Rat mit auf dem Weg, dass sie das Kreuz nicht offen tragen sollte. »Verstecke es irgendwo an oder unter dem Kleid.«
»Es hat Taschen an den Seiten.«
»Das ist gut.«
Maria Conti beherzigte meinen Ratschlag und ließ das Kreuz in ihrer rechten Tasche verschwinden. Sie ging zur Tür, die Suko ihr aufhielt.
Ohne sich noch mal umzudrehen, ging Maria nach draußen.
Eine junge Frau, die in ein feindliches Leben schritt.
Wir konnten ihr nur die Daumen drücken…
***
Suko schloss die Tür wieder und wandte sich an mich.
»Bist du davon überzeugt, das Richtige getan zu haben?«
»Ja, das bin ich.«
»Okay, dann bin ich gespannt, wie es…«
Mein Handy meldete sich. Die Nummer auf dem Display war mir unbekannt. Ich meldete mich trotzdem und hörte wenig später die Stimme des Kollegen Frank Taylor.
»Hören Sie, Mr. Sinclair, ich weiß nicht, wie es geschehen konnte, aber das Ehepaar, das wir unter unserem Schutz gestellt haben, befindet sich nicht mehr in dem kleinen Hotel.«
»Ich weiß.«
»Was? Sie wissen…?«
»Lassen Sie es mich Ihnen erklären, Kollege.«
»Da bin ich gespannt.«
Das konnte er auch. Nur verwandelte sich seine Spannung in Erstaunen und danach in Entsetzen, als er die gesamte Wahrheit hörte. Ich erklärte ihm, wo der tote Mike Hartmann lag, bat ihn aber inständig, noch nicht einzugreifen.
»Ich werde mich daran halten. Ich weiß ja, wer Sie und Suko sind. Sollten Sie allerdings Hilfe bei der Suche nach Silke Hartmann brauchen, melden Sie sich bitte.«
»Das werde ich, keine Sorge.«
»Und Sie sind sicher, dass Sie es schaffen, den Fall zu lösen?«
»Das bin ich, Mr. Taylor.«
Mit diesem Satz war das Gespräch beendet. Ich drehte mich Suko zu und nickte.
»Gehen wir?«, fragte er.
»Ja, denn ich denke, dass wir Maria nicht zu lange ohne Aufsicht lassen sollten.«
»Stimmt«, sagte er und öffnete die Tür erneut. Diesmal allerdings für uns.
***
Phantome aus der Hölle!
Dieser Begriff hatte sich fest in Marias Kopf eingebrannt, und sie wurde ihn einfach nicht mehr los. Sie waren da. Sie würden auf sie warten, auch wenn sie nur als Schatten zu sehen waren.
Trotzdem ging sie den Weg mit ruhigen Schritten. Es war etwas anders geworden als früher. Sie trug einen Gegenstand bei sich, von dem sie eigentlich nur hatte träumen können. Ein wunderbares Kreuz, das ihr John Sinclair überlassen hatte.
Um zu ihrem Ziel zu gelangen, musste sie nur einmal eine Straße überqueren, dann hatte sie das Parkgelände erreicht, das trotz der alten Gräber kein Friedhof mehr
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