1583 - Das Mädchen und der Nakk
intelligenten Schneckenwürmer gab, ging Anjannin Tish davon aus, daß das Wesen auf einem anderen Planeten zu Hause war. „Hast du dich verirrt?" fragte sie.
Obwohl der Schneckenwurm nicht antwortete, war Anjannin Tish fest davon überzeugt, daß sie damit die Wahrheit getroffen hatte.
Ihr Mitleid verstärkte sich.
Es war eine schreckliche Vorstellung für sie, sich auf diese Weise zu verirren: durch eine Traumtür zu gehen und in einer völlig fremden Umgebung zu landen.
Gleichzeitig wurde ihr klar, warum sie vorhin solche Angst empfunden hatte.
Diese unglaubliche Straße, die durch den Nebel führte und an deren Ende ein schwarzes Nichts lauerte, mußte der Weg gewesen sein, auf dem der Schneckenwurm nach Nobim gelangt war.
Ein Weg, der zu einem fremden Planeten führte.
Anjannin bekam bei diesem Gedanken noch im nachhinein eine Gänsehaut. Sie fragte sich, was wohl mit ihr geschehen wäre, wenn sie es gewagt hätte, die seltsame Straße zu betreten. „Ich werde dir helfen", sagte sie spontan.
Der Schneckenwurm antwortete nicht.
Wahrscheinlich beherrscht er unsere Sprache nicht, dachte Anjannin Tish. „Ich muß herausbekommen, wo wir hier sind", sagte sie zu dem Schneckenwurm. „Ich muß den Weg zur Siedlung finden. Vielleicht kann ich mir dort einen Translator ausleihen. Wenn sie dich sehen ...
Ich weiß nicht, was sie dann mit dir tun werden, aber es wird sicherlich nichts Gutes sein."
Der Schneckenwurm verstand kein einziges Wort. Er lag da und wackelte mit den fühlerähnlichen Ärmchen, die am einen Ende seines Körpers saßen.
Anjannin nahm instinktiv an, daß dies das Vorderteil des Schneckenwurms war. „Du könntest wenigstens versuchen, mir zu helfen", sagte sie ärgerlich.
Sie bedauerte ihren schroffen Tonfall, noch ehe sie das letzte Wort gesprochen hatte.
Dieses Wesen, das da vor ihr auf dem feuchten, modrigen Waldboden lag, hatte sich hoffnungslos verirrt und befand sich in einer wahrhaftig nicht beneidenswerten Lage.
Es war ungerecht und grausam, diesem Geschöpf zu allem Überfluß auch noch Vorwürfe zu machen.
Wie hatte der Schneckenwurm gesagt, bevor sie beide aus der Traumwelt herausgefallen waren?
Du hast mich gerufen.
Sie war sich zwar nach wie vor sicher, daß sie nichts dergleichen gemacht hatte, aber sie wußte andererseits, daß jenseits der Traumtüren mitunter sehr sonderbare Dinge geschahen.
Vielleicht hatte sie ihn tatsächlich auf irgendeine Weise gerufen, ohne daß es ihr bewußt geworden war. Dann war es ihre Schuld, daß er jetzt hier festsaß. „Balinor", sagte sie leise und überlegte, ob das sein Name sein mochte oder eine Bezeichnung für das Volk, aus dem er stammte.
Sie beschloß, daß es sein Name zu sein hatte. „Wir müssen dich verstecken, Balinor", sagte Anjannin Tish zu dem fremden Wesen. „Ich glaube zwar nicht, daß jemand hier, mitten im Wald, zufällig über dich stolpern könnte, aber ich weiß nicht, wie weit wir von der Siedlung entfernt sind. Wir dürfen kein Risiko eingehen. Wenn sie dich finden, hängen sie dich auf."
Sie stutzte bei diesem Gedanken. Mit kritischem Blick musterte sie den Schneckenwurm. „Nein", murmelte sie schließlich. „Aufhängen werde sie dich wohl nicht. Ich schätze, sie wüßten gar nicht, wo sie bei dir damit anfangen sollten."
Aber sie würden schon irgendeine Möglichkeit finden, den Schneckenwurm vom Leben zum Tode zu befördern.
Und auch diesmal würde es Anjannins Schuld sein. „Komm!" sagte sie entschlossen. „Da drüben unter der breiten Wurzel sieht man dich wenigstens nicht auf den ersten Blick. Und es ist auch gar nicht weit. Du wirst es schon schaffen. Ich helfe dir."
Der Schneckenwurm blieb einfach an Ort und Stelle liegen. Er wackelte mit seinen Fühlerärmchen, aber das war auch alles, was er tat.
Anjannin Tish kam seufzend zu dem Schluß, daß sie sich einen ziemlich schwierigen Schützling zugelegt hatte.
Sie fragte sich, ob es irgendeine Möglichkeit geben mochte, sich mit dem Fremden trotz dessen offensichtlicher Handikaps zu verständigen.
Er kann nichts hören, und er kann nichts sehen, überlegte sie. Aber sicher kann er doch wenigstens etwas fühlen. „Es hilft alles nichts", sagte sie energisch. „Du mußt in dieses Versteck!"
Und damit packte sie den Schneckenwurm, um ihm auf handgreifliche Weise klarzumachen, wohin er sich zu wenden hatte.
Als Anjannin den Körper des Schneckenwurms berührte, gab es in ihrem Gehirn einen grellen Blitz.
Das Mädchen fiel rücklings
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