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159 - Schimären der Wüste

159 - Schimären der Wüste

Titel: 159 - Schimären der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
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meine Mutter, meine beiden Schwestern und mich. Wir bezahlen für ihre jugendliche Dummheit.«
    »Und wie soll das geschehen?« Aruula erlaubte sich kein Urteil über die hiesigen Bräuche. Gewohnheiten und Gerichtsbarkeiten waren oftmals ein Spiegelbild der Menschen und ihrer Umgebung. Das, was woanders als grausam galt, hatte hierzulande möglicherweise einen ganz vernünftigen Grund.
    »Meine Schwestern wurden vor wenigen Tagen den Sandquallen geopfert.« Sta’sy sagte es ohne spürbare Gefühlsregung. »Ich soll morgen Moogan vorgeführt werden; er wird genauso wie über dich ein Urteil fällen.«
    Aruula unterdrückte einen Fluch. Verfüttert an diese verdammten Biester! Aus Gründen der Sippenhaftung?
    Moogan kletterte in ihrer Rangordnung der weltgrößten Arschlöcher um einige Plätze nach oben.
    Sie packte die Schimärin behutsam an der Schulter, wollte ihr ein wenig Halt geben. »Und wo ist deine Mutter?«, wagte sie schließlich zu fragen.
    »Man hat sie weggebracht.« Die Stimme war nun ein einziges Schluchzen. »Stundenlang habe ich ihre verzweifelten Schreie und das Lachen Moogans gehört. Viel später, als schließlich alle Geräusche verstummten, brachten mir Moogans Leibwächter das hier. Seitdem bin ich gezwungen, es zu tragen.«
    Sie hob den vermeintlichen Schleier, der ihr Gesicht verdeckte, ein wenig an. Er war rissig, und er wirkte nicht besonders widerstandsfähig.
    Er bestand aus menschlicher Haut.
    ***
    Dort vorne war die Grenze.
    Man konnte zwar keine genaue Linie ziehen, aber jeder Schimäre wusste, dass ab dem lang gezogenen Kammgrat des Tückischen Schrumpfhirns der Einflussbereich Moogans endete.
    Mehr als einmal hatte Sy’cho das Gebirge sehnsüchtig aus der Ferne betrachtet, im Geiste seine Spitzen überwunden, und war schließlich pfeifend auf der anderen Seite in die Freiheit marschiert.
    »Wir haben es geschafft!«, flüsterte er Rium’li zu. Selbst jetzt traute er sich nicht, laut zu sprechen. Zu groß waren Angst und Respekt vor dem Herrn. Es würde noch lange dauern, bis er diese Angewohnheit abgelegt haben würde.
    »Bist du dir sicher?«, fragte die Frau. Sie keuchte, der Schweiß rann ihr in Strömen an den Stoffstrümpfen hinab.
    »Nur noch ein paar Schritte, meine Schönste«, gab er zur Antwort. Auch ihm fiel das Atmen schwer, allerdings aus anderen Gründen.
    »Was wird Moogan mit Mutter und den Schwestern machen?«
    Rium’li war ängstlich und stets besorgt. Es erschien Sy’cho als Wunder, dass er sie tatsächlich aus diesem inniglichen Familienverbund hatte zerren können. Ihre Liebe musste ebenso groß sein wie die seine.
    »Er wird sie zur Strafe heranziehen«, sagte er hart. »Du kennst die Gesetze. Aber der Stamm der Schimären ist klein. Auch Moogan kann es nicht verantworten, vier gebärfähige Frauen einfach so hinzurichten. Also werden sie leiden müssen – und überleben. Und irgendwann, wenn wir mit einem Heer zurückkehren, um diese Bestie Moogan zu töten, werden uns deine Verwandten wie segensbringende Helden empfangen. Aller Schmerz wird dann vergessen sein.«
    »Glaubst du?« Rium’lis Augen leuchteten hell vor Begeisterung.
    »Natürlich! Ich würde dich niemals anlügen, meine Wüstenblume.«
    O doch, das würde er schon. Er war bereit, alles zu tun, um dieses wunderbare Geschöpf endlich für sich alleine zu haben.
    »Du verstehst es, hässliche Dinge schön zu verpacken«, hauchte sie und stopfte eine Handvoll Zucker in sich hinein.
    »Lass uns weitergehen«, drängte Sy’cho. »Mittlerweile wird Moogan unsere Flucht entdeckt haben und nach uns suchen. Ich will jegliche Möglichkeit ausschließen, dass er uns doch noch findet.«
    »Nur ein paar Augenblicke«, seufzte sie und ließ sich schwer auf einen breiten Felsen plumpsen. »Es war eine lange, aufregende Nacht. Mein Herz, es pocht wie verrückt.«
    Auch er war müde, todmüde. Die ganze Anspannung schien plötzlich von ihm abzufallen und ein leichtes Glücksgefühl bemächtigte sich seiner.
    Also hockte er sich zu ihren Füßen hin, streckte zögernd die Hände aus und umfasste ihre dicken, fleischigen Waden.
    »Ich liebe dich, tapferer Sy’cho«, flüsterte sie ihm zu.
    Unbeholfen streichelte sie ihm über den Kopf, das erste Mal in all den Wochen und Monaten, seitdem sie sich zugetan waren.
    »Du bist mein Leben.«
    Dankbar lehnte er sich gegen ihren massiven Körper, genoss ihre Wärme und Zuneigung, fühlte sich einfach nur wohl. Es war dies der schönste Moment seines Lebens. Der

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