1597 - Die Köpferin
Grabsteine sein, so genau wusste ich das nicht.
Mittlerweile war die Anspannung in mir noch gewachsen. Ich hatte Schwierigkeiten, meine Neugierde zu bezähmen.
Justine Cavallo gab keine Erklärung mehr ab. Sie fühlte sich anscheinend in dieser Umgebung wohl. Sie liebte ja die Dunkelheit mit ihren geheimnisvollen Verstecken, die ein gutes Rückzugsgebiet für Vampire waren.
Ihr Körper glitt geschmeidig vor mir her. Wir waren inzwischen tief in dieses Gelände eingedrungen, und ich rechnete nicht damit, dass wir unser Ziel so bald erreichen würden, doch da hatte ich mich geirrt.
Die Blutsaugerin blieb plötzlich stehen. Da ich vor ihr kein Hindernis entdeckte, vermutete ich, dass wir da waren.
Sie drehte sich zu mir um. In der Dunkelheit schimmerte ihr helles Gesicht. Für mich sah es aus, als hätte es sogar einen kalten Glanz angenommen, obwohl kein Mondlicht dagegen schien.
»Sind wir da?«, fragte ich.
»Ja.«
Ich drehte den Kopf. Dabei lachte ich leise. »Tut mir leid, aber ich erkenne nichts.«
»Das wirst du gleich.«
Ich trat neben sie, um nach vorn zu schauen. Was ich in der Dunkelheit sah, war eine Art Lichtung. Ich erkannte, dass diese freie Fläche so etwas wie eine Mulde bildete, die nicht besonders tief war. Der Wind hatte Laub hineingeweht und diese Schüssel damit gefüllt.
»Und jetzt?«, fragte ich.
»Kannst du deine Lampe hervorholen.«
»Sehr schön.« Ich zog die Leuchte aus der Tasche. »Und dann? Wie geht es weiter?«
»Das wirst du schon sehen. Leuchte einfach nur in die Mulde hinein, dann ist es okay.«
»Wie du willst.« Ich schaltete meine kleine Lampe ein und ließ den Kegel über das Laub in der Mulde wandern.
Den Grund für unseren Stopp sah ich nicht, aber ich war mir sicher, dass Justine mich nicht grundlos an diesen Ort geführt hatte. Deshalb hielt ich auch den Mund.
»Weiter nach rechts, John.«
»Wie du willst.«
Sekunden später wusste ich, dass Justine Cavallo mich nicht an der Nase herumgeführt hatte.
Es war nicht nur das Laub in die Mulde geweht worden, es gab noch etwas anderes, und damit hatte ich wirklich nicht gerechnet!
Aus dem Laub hervor ragte das bleiche Gesicht eines Menschenkopfes!
***
Jetzt wusste ich, dass dieser Trip in die Einsamkeit kein Spaß gewesen war. Justine hatte von diesem Kopf im Laub gewusst. Sie sah auch, dass ich ihn entdeckt hatte. Sie verzichtete darauf, mir etwas zu erklären, und ließ mich zunächst in Ruhe.
Es war ein Menschenkopf. Daran gab es keinen Zweifel.
Wie lange er hier schon lag, konnte ich nicht sagen. Die Haut war noch im Gesicht vorhanden. Wie groß die Spuren der Verwesung dort waren, erkannte ich nicht, weil Dreck und Laub eine schmierige Schicht auf der Haut hinterlassen hatten.
Ein netter Anblick war dieser Kopf nicht, bei dem der Mund offen stand, als sollte noch ein letzter Atemzug eingesaugt werden, was allerdings unmöglich war.
Der Kopf eines Mannes war hier abgelegt worden.
»Du wusstest Bescheid, Justine?«
»Sicher.«
»Und hast du eine Erklärung?«
»Leuchte mal weiter in die Mulde hinein.«
Dieser Vorschlag hörte sich alles andere als gut an. Er wies darauf hin, dass es wohl nicht der einzige Kopf war, der in dieser mit Laub gefüllten Mulde lag.
Ich lenkte den Strahl nach links und schaute zu, wie der Kegel über das Laub wanderte. Einen zweiten Kopf sah ich nicht - bis plötzlich etwas Helles innerhalb des Kegels schimmerte und ich den zweiten Kopf entdeckte, der ebenfalls einem Mann gehörte.
Das Gesicht war schon mehr verwest als das des ersten Kopfes und auch zu einer Beute für Kleintiere geworden, die über die Wangen und die. Stirn krabbelten. Den offenen Mund hatten sie als Höhleneingang benutzt. Natürlich fehlten auch die schleimigen Würmer nicht, die sich ihren Weg durch das graue Haar bahnten, das auf dem Kopf wuchs.
Es war ein Bild wie aus einem Film, aber leider war es echt, und ich spürte einen leichten Druck im Magen. So etwas schaute ich mir nicht gern an.
Justine Cavallo hatte mir nicht erzählt, wie viele Schädel noch in der Mulde lagen.
Sie ließ mich weiterhin suchen, und tatsächlich entdeckte ich noch einen dritten Kopf. Er lag am Rand der Mulde und mit dem Gesicht nach unten, sodass ich nur das dunkle Haar sah, das recht lang war. Es hatte früher mal eine blonde Farbe gehabt. Jetzt aber klebten Blätter darin, die sich mit der weichen Erde vermischt hatten.
»Ist es eine Frau?«, fragte ich. »Ja.«
»Die du gekannt hast?«
»Nein, habe ich
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