1597 - Die Köpferin
»Leider«, kommentierte ich und schnallte mich los. Dann fragte ich: »Wollten wir nicht aussteigen und ein wenig durch die Gegend spazieren? Du hast es so spannend gemacht und mir erzählt, dass…«
»Ja, ja, schon gut, John Sinclair. Es sollte auch keine Liebesstunde werden. Aber manchmal schießen mir eben bestimmte Dinge durch den Kopf.«
Ich schüttelte den Kopf und öffnete die Fahrertür.
Es war mir egal, ob die Vampirin ebenfalls ausstieg oder nicht. Ich war mir sicher, dass sie es tat, denn schließlich war ich auf ihr Drängen hin mitgekommen. Angeblich wollte sie mir etwas zeigen, ohne mir zu sagen, was genau es war, und so war ich gespannt, um was es sich handelte.
Der erste Schritt brachte mich in die Kälte und die Dunkelheit der anbrechenden Nacht. Sie lag wie ein dichtes Tuch über dem Land. In dieser einsamen Gegend gab es keine Laternen.
Dabei waren wir nicht mal weit von London entfernt, doch hier konnte man das Gefühl bekommen, am Ende der Welt zu sein.
Das war genau der Plan der Blutsaugerin gewesen. Mit mir allein durch die Gegend zu streifen und mich dann zu einem Ort zu führen, der angeblich sehr Interessant sein sollte.
Am Abend waren die Temperaturen stark gefallen. Ich war froh, einen Schal mitgenommen zu haben. Ich wickelte den weichen Stoff um meinen Hals und schaute zu, wie auch Justine Cavallo den Rover verließ.
Sie war kein Mensch, auch wenn sie so aussah. Wer nicht wusste, was sie wirklich war, musste sie als eine perfekte Frau ansehen, denn bei ihr war äußerlich alles makellos.
Ihre Figur hatte die idealen Maße.
Das blonde Haar wuchs wie eine Lockung auf ihrem Kopf, und sie hatte volle Lippen, die in den Männern den Wunsch auslösten, sie zu küssen.
Nur wenn sie es probieren wollten, würden sie ihr blaues Wunder erleben. Justine Cavallo war keine normale Frau, sondern eine Vampirin, die sich von Menschenblut ernährte, auch wenn sie jemand war, den man als besonders ansehen musste, weil sie sich nicht so verhielt wie ihre Artgenossen, die in dunklen Nächten durch die Gegend streiften, um ihren Blutdurst stillen zu können.
Justine Cavallo ging dabei eiskalt und methodisch vor.
Seit einiger Zeit führte sie so etwas wie ein normales menschliches Leben.
Meine Freundin Jane Collins hatte es auszubaden, denn die Cavallo hatte sich in ihrem Haus eingenistet und ließ sich von dort auch nicht vertreiben.
Sie und ich waren Gegner gewesen. Ihrer Meinung nach hatten wir uns im Laufe der Zeit zu Partnern entwickelt, wobei ich das nicht so sah. Es gab so etwas wie einen Burgfrieden zwischen uns. Er war auch geschlossen worden, weil wir uns tatsächlich schon gegenseitig das Leben gerettet hatten. Dennoch sah ich Justine Cavallo weiß Gott nicht als Partnerin an.
Mit dem Wagen waren wir so weit gefahren, wie es das Gelände zugelassen hatte. Regen, Schneematsch und Tauwetter hatten den Erdböden aufgeweicht.
Auf den letzten Metern hatten wir keine normale Fahrbahn unter den Reifen gehabt und hatten den Weg mehr geahnt als gesehen.
Jetzt standen wir von einem undurchdringlich erscheinenden Waldstück mit dichtem Buschwerk, das ziemlich hoch wuchs, und ich konnte mir kaum vorstellen, was mir die Vampirin ausgerechnet hier zeigen wollte.
Aber ich wusste ja, dass man bei ihr vor Überraschungen nie sicher sein konnte.
»Wohin jetzt?«, fragte ich.
»Sei doch nicht so neugierig.«
Justine kam um den Wagen herum.
Grinsend sagte sie: »Du wirst es noch früh genug sehen.«
»Und einen Tipp hast du nicht für mich?«
»Hätte ich schon. Nur behalte ich den für mich.«
Sie lachte und hielt dicht vor mir an.
Ich hätte Justine eigentlich riechen müssen, denn oft strömen Vampire einen scharfen Geruch aus. Nach Graberde oder nach altem Blut, der einen Menschen an Tod und Verwesung erinnerte.
Das war bei ihr nicht der Fall. Sie roch neutral. Das heißt, eigentlich roch sie gar nicht. Das lag daran, dass sie eben nicht voll zu den Vampiren gehörte.
Hinzu kam ein weiteres Phänomen. Jeder Mensch hätte sich bei diesem Wetter in warme Kleidung gehüllt. Nicht eine Justine Cavallo. Für sie gab es weder Kälte noch Hitze. Deshalb trug sie auch ihre übliche Uniform über der nackten Haut. Dünnes schwarzes Leder, das als Ober-und Unterteil wie angegossen auf ihrer hellen Haut lag. Ihr weiter Ausschnitt gab den Blick auf einen großen Teil ihrer Brüste frei, was vielen Männern natürlich gefiel, wobei sie nicht ahnten, in welch einer Gefahr sie sich in ihrer Nähe
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