1604 - Panoptikum des Schreckens
nähernden Person. Sie klangen durch die offene Tür zu uns und waren aus dem Flur gekommen.
Ein schneller Blick reichte uns zur Verständigung. Da Suko näher an der Tür stand, lief er hin und lugte um die Türkante. Er sah auch etwas, aber er zog seine Waffe nicht.
Auch ich nahm meine Hand vom Griff der Beretta, weil Suko mir kurz zuwinkte. Ich huschte zu ihm, warf ebenfalls einen Blick in den Flur hinein - und hielt den Atem an.
Wir bekamen Besuch.
Nicht von einem Erwachsenen. Es war der Junge, von dem Purdy Prentiss am Telefon gesprochen hatte.
***
Purdy schaute in einen Gang, der mehr einem Tunnel glich. Er war beleuchtet und das Licht verteilte sich, sodass die Gestalt für sie gut sichtbar war. Es war ein Mann!
So sah sie den Vergleich, der ihr zuerst durch den Kopf geschossen war, als falsch an. Aber dieser Mann hätte nicht mehr leben dürfen, denn sie hatte ihn bereits hier im Haus gesehen. Es war der Killer, der seine Familie und dann sich selbst umgebracht hatte. In der nachgestellten Szene war er als Wachsfigur zu sehen gewesen. Hier lebte er, und in seiner Brust steckte kein Fleischermesser mehr. Er hielt es jetzt mit beiden Händen fest. Dabei hatte er eine gebückte Haltung angenommen, schaute über seine Waffe hinweg und glotzte Purdy an.
Hätte er die Gunst des Augenblicks genutzt, so wäre die Staatsanwältin nicht mehr am Leben gewesen. Aber er hatte gezögert und keinen Angriff gestartet Beide glotzten sich an. Auch bei Purdy war es ein Glotzen, denn normal anschauen konnte sie den Killer nicht. Er war ein Mensch, sah zumindest so aus, doch für Purdy war er zugleich eine Ausgeburt der Hölle. Anders konnte sie ihn nicht betrachten.
Sie hörte ihn nicht. Es wehte ihr kein scharfer Atemzug entgegen. Es war kein Keuchen zu hören. Die Gestalt stand da und lauerte darauf, dass sich Purdy bewegte.
Sie tat es nicht, denn es war alles andere als leicht, die Starre zu überwinden. Dabei hatte sie das Gefühl, dass die andere Seite nur darauf wartete, dass sie etwas unternahm, um dann ebenfalls zu reagieren.
Purdy trug keine Waffe bei sich. Hätte sie eine gehabt, dann hätte sie die Kugeln aus dem Magazin in den Körper geschossen. So aber konnte sie nichts tun und nur darauf warten, dass die andere Seite reagierte.
Der Killer musste nicht atmen und existierte trotzdem. Das brachte Purdy auf den Gedanken, einen Zombie vor sich zu haben, und sie erschrak bei diesem Gedanken nicht mal, denn sie wusste aus eigener Erfahrung, dass es diese Gestalten gab.
Das Messer zitterte plötzlich und Purdy sah es als Zeichen für einen Angriff.
Für sie gab es nur eine Chance. Nach vorn konnte sie nicht. Sie musste wieder zurück, und das tat sie auch, kaum dass der Gedanke in ihrem Kopf aufgezuckt war.
Sie glitt nach hinten und rechnete damit, dass der Killer sie verfolgte, was durchaus sein konnte, sodass es dann in der Dunkelheit des Verlieses zu einem Kampf kommen würde, wobei sich Purdy dort mehr Chancen ausrechnete als in dem engen Gang.
So schnell wie möglich rammte sie die Tür zu und blieb in ihrer direkten Nähe. Sie hockte sich auf den Boden. Dann presste sie ihren Rücken gegen die Tür, um es der anderen Seite so schwer wie möglich zu machen, sie zu öffnen.
Es gab kein Licht mehr. Sie saß in der Dunkelheit und wartete ab. Sie hörte die eigenen schweren Atemzüge und hielt trotz der Dunkelheit die Augen geschlossen.
Der Tod war nur eine Türdicke von ihr entfernt. Sie fragte sich, wie sich der Killer verhalten würde. Er hatte sie jetzt gesehen. Er wusste, dass es eine Zeugin gab. Normalerweise hätte er sie gar nicht am Leben lassen dürfen, und so rechnete Purdy damit, dass er versuchen würde, die Tür aufzusprengen.
Da hatte sie sich geirrt. Das trat nicht ein. Die Tür blieb geschlossen, und die Gestalt tat auch nichts, um das zu ändern. Sie war nicht mal zu hören. Es passierte überhaupt nichts, was sie hätte ängstigen müssen.
Und so verstrich die Zeit. Purdy zählte die Sekunden nicht, aber sie war eine Frau, die ein gutes Nervenkostüm hatte.
Ein Begriff hatte sich in ihrem Kopf festgesetzt. Er lautete: Befreiung.
Dass sie durch die Falltür nicht fliehen konnte, war ihr klar, die lag zu hoch über ihr, aber es gab den Gang jenseits der Tür. Wohin er führte, wusste sie nicht. Dass er von dieser Gestalt besetzt war, musste sie vergessen, denn es gab nur diese Chance für sie. Es war wie immer im Leben - der Weg nach vorn.
Obwohl ihr Entschluss feststand, setzte
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