1604 - Panoptikum des Schreckens
fest.
»Die Zeit ist um!«, zischte Myra.
Einige Sekunden nach diesen Worten hörten die Anwesenden eine kalte Männerstimme.
»Darf ich vielleicht helfen?«
***
Die Frage hatte ich gestellt. Zusammen mit Suko hatte ich den Raum betreten, nachdem wir im Flur gelauscht und einiges mitbekommen hatten. So erlebten wir beide keine große Überraschung mehr, als wir sahen, wie diese Frau mein Kreuz in die Höhe hielt. Der Anblick ging mir allerdings unter die Haut.
Doch das war jetzt unwichtig, denn nun kam es darauf an, dass gehandelt wurde, und zwar durch mich.
Um Purdy Prentiss kümmerte ich mich nicht. Später erfuhr ich von ihr, dass sie mich schon für tot gehalten hatte, aber ich war sehr lebendig und das sollte die andere Seite zu spüren bekommen.
Myra wusste genau, wer ich war. Sie schüttelte den Kopf und sprach dabei meinen Namen knurrend aus.
»Sie haben sich verrechnet«, sagte ich zu ihr. »Und was Sie da in der Hand halten, das gehört mir.«
»Das kriegst du nicht zurück.«
Ich blieb locker. »Dachte ich mir. Aber kommen wir noch mal auf meine Frage zurück. Ich habe mich erkundigt, ob ich helfen kann. Ich stehe noch immer dazu, und ich werde mein Versprechen halten. Schließlich muss der neue Besitzer des Kreuzes ja darüber Bescheid wissen. Ich weiß, dass in euren Körpern andere Seelen oder Geister stecken. Man kann sie wohl nicht als dämonisch bezeichnen, aber sie sind offensichtlich auch nicht positiv. Sie haben von Folter gesprochen. So etwas sollte eine Person, die ein derartiges Kreuz besitzt, erst gar nicht in den Mund nehmen.«
»Rede nicht so viel!«, schrie Myra mich an.
»Ja, es ist genug geredet worden«, bestätigte ich. »Nur eins muss ich noch tun.« Ich nickte ihr zu und sprach zugleich die Formel, die das Kreuz aktivierte.
»Terra pestem teneto - salus hic maneto.«
***
Klappte es? Lag ich falsch? Wirkte die uralte Kraft der Formel nicht bei der Frau?
Ich dachte schon, dass es tatsächlich so wäre, aber Sekunden später war alles anders. Auch ohne dass ich das Kreuz selbst in der Hand hielt, zwang ich es zu dieser Reaktion.
Es sah nur so aus, aber es explodierte nicht in der Hand der Frau. Da gab es nur das helle und auch sehr starke Licht, das von ihm ausging und sich Ziele suchte. Es war diese Familie. Jeder wurde erwischt.
Und jeder blieb auf seinem Stuhl sitzen, wobei es aussah, als wäre er von diesem strahlend hellen Licht umgeben, was auch stimmte. Aber die Reaktion des Kreuzes zeigte noch mehr.
Das Licht war in die Personen eingedrungen. Sie leuchteten nicht nur von innen, sie strahlten auch auf und sahen für einen Moment aus wie Lampen. Es war ein faszinierendes Bild, das ich so noch nicht gesehen hatte. Zugleich aber war es ein Bild, das nicht lange andauerte, denn diese Familie waren keine normalen Menschen. In ihnen steckte ein unheilvoller Geist und genau das nahm mein Kreuz zur Kenntnis. Es konnte grausam gegen seine Feinde sein, wie ich im nächsten Moment zu sehen bekam.
Sie blieben auf ihren Plätzen sitzen, aber sie blieben nicht mehr am Leben. Die Kraft des Kreuzes zerstörte sie. Und auf ihren Plätzen vergingen sie.
Im Sitzen lösten sie sich auf. Jede Gestalt begann zu flimmern, und was an hellem Staub zurückblieb, das verteilte sich auf den Stuhlflächen.
Mein Kreuz landete auf der Tischplatte, denn es war Myra nicht mehr möglich, es zu halten.
Genau in dem Augenblick verschwand auch das Licht. Der Raum erhielt seine Normalität zurück, und doch hatte er sich verändert, denn auf den vier Stuhlflächen war ein silbriger Staub zurückgeblieben…
***
Ich konnte mich nicht daran erinnern, Purdy Prentiss jemals weinen gehört oder gesehen zu haben. Das war jetzt der Fall. Sie konnte nicht anders, sie musste ihren Tränen freien Lauf lassen. Sie weinte aus Scham und Erleichterung, wie sie Suko bekannte, während ich um die Stühle herumging.
Das Kreuz hatte ich wieder an mich genommen und es in meiner Tasche verschwinden lassen. Es gab hier nichts mehr zu tun, abgesehen davon, dass man den Staub von den Sitzflächen fegte.
Ich nahm Purdys Hände. Sie stand noch immer an der Wand und wollte mich nicht anschauen.
»Bitte, Purdy, mach dir keine Vorwürfe. Es war schon richtig, was du getan hast. Ich habe dir das Kreuz ja gegeben. Glaubst du nicht, dass ich nicht gemerkt habe, dass mit dir etwas nicht stimmt?«
»Hör auf. Das ist ein billiger Trost.«
»Nein, ist es nicht. Es ist die Wahrheit. Und das Wichtigste dabei ist, dass
Weitere Kostenlose Bücher