161 - Der Kristallschlüssel
gesprächsbereiter, und Matt gab sich Mühe, seine polternde Art zurückzunehmen und seine Gastgeber – was sie inzwischen waren; sein Status als Gefangener war offiziell beendet – nicht ständig zu kritisieren. Er musste es akzeptieren, dass sie eine andere Weltanschauung hatten als er, und dass sie eher aus Furcht als echter Überheblichkeit seine Art als barbarisch ansahen. Ganz so unrecht hatten sie damit ja nicht, wenn er es recht bedachte.
Was aber das Verhältnis zu Chandra betraf, so war er hin und her gerissen in seinen Gefühlen. Manchmal hatte er Lust, sie zu erwürgen, wenn sie völlig ignorant wichtige Hinweise überging oder ihn von Besprechungen ausschloss. Tatsächlich aber konnte sie auch locker sein, hin und wieder zeigte sich bei ihr eine humorvolle Ader, und sie hatte ein seltenes, aber ansteckendes Lachen. Sie war so ganz anders und fremd für ihn und hatte eine zugleich anziehende wie abstoßende Wirkung.
Was ihn vorhin zusätzlich durcheinander gebracht und ihn zu der dummen Bemerkung veranlasst hatte, war die Art und Weise, wie sie ihn angesehen hatte.
Nicht seine Augen, nicht sein Gesicht, sondern seine Brust, und zwar seltsam sezierend. Er musste abstoßend plump auf sie wirken, da er keineswegs so ätherisch und fragil gebaut war wie ein Marsianer; deswegen war es ihm unangenehm, wenn sie ihn so ansah… und er vor allem keinen Anzug oder wenigstens ein Hemd trug.
Na ja, unangenehm war vielleicht auch nicht das richtige Wort.
Hm.
Ach, was soll's, dachte Matt verwirrt und schwang seine Beine über den Bettrand. Jetzt dusche ich erst mal ausgiebig und dann beginnen wir unser Tagwerk. Es wird sowieso schon hell.
***
»Habe ich wenigstens noch Zeit für ein kleines Frühstück?«, fragte Matt, als er fertig angezogen aus seinem Zimmer kam und sich an den Tisch setzte, mit PanoramaBlick auf die Stadt. Wie an den meisten Tagen sollte es trocken bleiben, und die Temperatur sollte um die zehn Grad liegen. Die Sonne, hier ein ferner roter Stern, eingebettet in einen breiten blauen Kreis, schickte ihre Strahlen von einem wolkenlosen, zart violetten Himmel herab.
Der Architekt und Berater im Rat, Fedor Lux, hatte ihm und Chandra eine Firmenwohnung am Stadtrand von Utopia zugewiesen, im einhundertvierzigsten Stockwerk eines Spindelturms. Es gab zwei Schlafzimmer mit jeweils zugehörigem Bad, einen großzügig gestalteten Wohnraum mit Fenstergalerie und Essbereich, von dem aus wie gewöhnlich eine Terrasse betreten werden konnte, den speziell eingerichteten Fitnessraum und eine automatische Küche. Matt brauchte nur seine Wünsche zu äußern, und kurze Zeit später konnte er die fertigen Speisen dem Aufzug entnehmen. Selbst gekocht wurde hier nur Tee oder Knochenwärmer.
Allerdings ließ die Fertigküche keine Wünsche übrig.
Matt hatte sich zwar an die ungewöhnlichen Geschmacksrichtungen gewöhnen müssen, aber inzwischen war er den Variationen sehr zugetan und musste anerkennen, dass die Marsianer viel für Genüsse übrig hatten.
Ebenso für Kunst und Musik, sowie Dichtung und Lyrik. Gewollt oder nicht, die musikalischen und vor allem künstlerisch tätigen Waldmenschen hatten hier einen deutlichen Einfluss ausgeübt. Auch Unterhaltung und Wissen waren gefragt, wie er dem Programm der Holosender MP und ENT entnahm.
Das hiesige Idiom war für Matt dabei kein Buch mit sieben Siegeln. Da die Missionssprache der ersten Siedler Englisch gewesen war, fußte die Sprachentwicklung der Marsianer darauf. Natürlich durchmischt mit Wortneuschöpfungen oder Überbleibseln der verschiedenen CrewNationalitäten.
Zeremonien, Rituale, all dies war den Marsianern selbst im Alltag sehr wichtig. Sie achteten dabei genau auf Kleidervorschriften und Accessoires. Dem modischen Geschmack waren keine Grenzen gesetzt, auch das musste Matt zugeben. Das Leben in der Stadt war bunt und vielfältig, wie er zumeist von der Terrasse aus mit dem Fernglas beobachtete. Sich unters Volk zu mischen wagte er nur selten, aber manchmal verkleidete er sich und ließ sich von Chandra in einen Pulpy, wie sie die pubähnlichen Lokalitäten nannte, entführen.
Matt hatte anfangs Bedenken gehabt, weiterhin Tag und Nacht mit Chandra verbringen zu müssen. Aber ihm war klar, dass der Rat seinen Status als Gefangener zwar aufgehoben hatte, ihn jedoch weiterhin unter Aufsicht behalten wollte – was verständlich war; er hätte da nicht anders gehandelt.
Was ihn allerdings amüsierte war, dass man ihnen ganz
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