1610 01 - Der letzte Alchimist
Attentat auf Heinrich ist nicht extra herbeigeführt worden – ich und der Londoner Meister haben einfach nichts getan, um es zu verhindern. Sein Tod zögert einen Krieg hinaus. Das war etwas, was wir beide wollten.«
Sie deutete mit einem schmutzigen Finger auf mich. Der Nagel war schwarz, aber schön geformt.
»Und ihr. Ihr musstet erst beweisen, dass Ihr der Mann seid, von dem er geglaubt hat, dass Ihr es seid. Aus den Ereignissen schloss der Londoner Meister dann, dass Ihr bloß ein Meuchelmörder seid, und dass Maria di Medici Euch entweder erpresst oder bezahlt hat, um König Heinrich zu töten.«
Sie runzelte die Stirn.
»Jetzt, da ich Euch sehe, glaube ich das nicht mehr. Ich bleibe bei meinem ursprünglichen Ergebnis und sage, dass Heinrichs Tod ein purer Zufall war.«
Mein Mund war wie ausgetrocknet. Trotzdem versuchte ich mich an spöttischem Humor. »Bei all Euren Prophezeiungen bleibt also noch Platz für Zufall?«
Bevor sie darauf antworten konnte und bevor ich wusste, wie mir geschah, platzte ich verbittert heraus: »Ihr hättet mich warnen können!«
Sie stieß die nackten Fersen in die Walderde und senkte den Kopf. » Cielo , Valentin! Das hätte ich auch getan, wenn ich gekonnt hätte! König Heinrich IV. musste sterben. Dass er sich Jülich und Kleve genommen hat, hätte nächstes Jahr zu einem Krieg geführt, der sich über ganz Europa ausgedehnt hätte. Einen Krieg, der sechzig oder siebzig Jahre gedauert hätte …«
Ich unterbrach sie. »Ich lasse mich nicht von alten, italienischen Nonnen in Fragen der Politik belehren! Es besteht eine Chance, dass die deutschen Fürsten sich einmischen werden oder die Spanier, aber diese Chance ist zu klein, als dass sie einen Mann kümmert … Außerdem ist der Krieg mit Heinrichs Tod noch lange nicht abgewendet.«
»Doch, das ist er. Sully kann den Großen Plan nicht allein durchsetzen. Ihr mögt ja über die Medici sagen, was Ihr wollt, aber sie ist weder an Krieg noch an Eroberungen interessiert. Nun ist dieser Krieg für fünf, vielleicht zehn Jahre aufgeschoben …«
Sie packte mich am Arm. Ihre Finger waren trotz des unterirdischen Wassers noch immer voller Dreck.
»Valentin, ich kann Euch nicht überzeugen. Das weiß ich! Ich kann Euch keine mathematischen Theorien lehren. Es gibt nur sechs Köpfe in Europa, die das verstehen würden, und Ihr gehört nicht dazu.«
Überrascht stellte ich fest, dass mein Frust sich nicht in Zorn, sondern in Belustigung verwandelte. Ich legte die Hand auf die Brust und verneigte mich tief. »Ich danke Euch, Suor …«
»Haltet Ihr Euch etwa für ein Genie?«
»Ich muss gestehen, dass ich mich das schon einmal gefragt habe.«
Sie lachte.
Ich schaute ihr ins Gesicht. »Ihr solltet mir gestatten, Euch von hier wegzubringen. Lasst mich Euch zu einem Kloster bringen. Selbst in diesem heidnischen Land muss es doch mildtätige Häuser geben. Lasst mich Euch außer Gefahr bringen.«
Sie blickte zu mir hinauf.
Verlegen bemerkte ich: »Madame, ich bin ein wenig zu alt, als dass Ihr mich anschauen solltet, als wäre ich Euer Lieblingsenkel.«
Wieder lachte sie. Es war ein überraschend tiefes Geräusch, und ihre Stimme klang so voll wie die einer Frau bei bester Gesundheit.
»Himmel! Ja, da habt Ihr wohl Recht. Ihr könntet allerdings mein Sohn sein.«
Instinktiv erwiderte ich: »Sicher … wenn Ihr weit älter seid, als Ihr ausseht.«
»Oh, ein Franzose durch und durch. Alles, was meine Mutter Äbtissin über die Franzosen gesagt hat, entspricht also der Wahrheit.«
Die Sonne brannte auf uns herab. Ich wischte mir mit dem Ärmel übers Gesicht. Soll Mylord Cecil nicht nur einen Bericht, sondern ruhig auch Signora Caterina bekommen! Das würde mich zumindest amüsieren. Mylord Cecil jedoch würde das Lachen wohl im Hals stecken bleiben, sollte er sich einer freundlichen, aber vollkommen verrückten Nonne gegenübersehen.
Dennoch konnte sie nach wie vor auch eine weitere von Fludds Fallen sein, und sie würde auch hier sein, wenn Cecils König hier eintraf …
Ich legte die Hände auf die Knie. »Sagt mir, Schwester Caterina, warum wollt Ihr die Zukunft ändern? Oder wollt Ihr das gar nicht? Und wenn Ihr und Doktor Fludd die gleichen ›Berechnungen‹ durchführt, stimmt Ihr dann nicht überein?«
»Was jene Dinge betrifft, die zeitlich näher liegen? Doch, das tun wir. Beide haben wir Krieg in Europa und einen Bürgerkrieg in England errechnet. Wir unterscheiden uns nur in der Frage, was wir deswegen
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